Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, brannte die Welt und das alte Europa zerbrach. Ein Jahrhundert später beschäftigt sich nun die international erfolgreiche junge Sopranistin Anna Prohaska mit dem Thema Krieg und erinnert mit ihrem neuen Album an den Kriegsbeginn vor 100 Jahren.
Bildquelle: Deutsche Grammophon
CD-Tipp 12.07.2014
Anna Prohaska - "Behind the Lines"
Anna Prohaska artikuliert deutlich, singt schlicht, berührend. Und von Beginn an ist klar: Ihr liegt viel an großer Textverständlichkeit. Sie tritt auch martialisch auf, zieht in den zerstörerischen Krieg, ins Feld. Oder sie versetzt sich in die Perspektive der Zurückbleibenden, die besorgt sind, geplagt von Verlustängsten. Indem sie sich musikalisch an die unterschiedlichsten Zeiten und Stile heranwagt, stellt die junge Sängerin mit ihrem neuen Album höchste künstlerische Ansprüche an sich und an den Pianisten Eric Schneider. Auch satirisch geht es zu, wenn der amerikanische Soldat als Tölpel in einem Lied von Charles Ives gerade mal auf eins und zwei marschieren kann. Ein Ragtime-Walzer ist ihm zu kompliziert.
"Mich fasziniert der erste Weltkrieg besonders, weil es eine Schnittstelle für die Gesellschaft war - zwischen der alten monarchistischen, feudalen Welt und der 'modernen' Welt: der Republiken, der Demokratien, aber eben auch der Diktaturen, sagt Anna Prohaska zum Thema ihrer CD. "Das heißt, die Gesellschaft in Europa hat ihre Unschuld verloren. Der erste Weltkrieg war ja der erste wirklich durchtechnisierte Krieg."
"Politisch" will Anna Prohaska ihre CD nicht verstanden wissen. Für die Konzeption hat sie das Soldatenlieder-Repertoire akribisch recherchiert und schließlich 25 Lieder ausgewählt: vom Volkslied über das Renaissance-Lied und klassisch-romantische Lied, vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg. Prohaska singt diese Lieder von Beethoven bis zu Hanns Eisler, Rachmaninow, Charles Ives, Francis Poulenc, Kurt Weill oder Wolfgang Rihm ganz selbstverständlich auf deutsch, englisch, französisch oder russisch. Stimmlich sind unterschiedlichste Schattierungen gefragt, auch wenn ein atmosphärischer Grundton bestimmend ist: die Tragik um Millionen sinnlos vernichteter Leben.
Einfühlsam und virtuos unterstützt von Eric Schneider führt Prohaska mit äußerst differenziertem Ausdruck ins Geschehen. Erstaunlich reif wirken einige Interpretationen der gerade mal 31-Jährigen. Mit ihrer klaren Stimme, ohne jegliche Übertreibung, auch was den Gebrauch des Vibratos betrifft, erweist sie sich als ideale Gestalterin. Und das bei einem brisanten Thema, das nachdenklich macht. Eine außergewöhnliche, eine bewegende CD.
Lieder von
Ludwig van Beethoven, Hanns Eisler, Hugo Wolf, Sergej Rachmaninow, Charles Ives, Franz Schubert, Wolfgang Rihm, Gustav Mahler
u.a.
Anna Prohaska (Sopran)
Eric Schneider (Klavier)
Label: Deutsche Grammophon