Man mag es stellenweise einfach nicht glauben: Anna Vinnitskaya spielt nur mit einer Hand - ihrer Linken. Sie tut das virtuos und farbenreich, vor allem: hoch differenziert. Johann Sebastian Bachs d-Moll-Chaconne aus der Partita Nr. 2 ist zweifellos für jeden Geiger ein Höhepunkt der Sololiteratur. Für Pianisten bleibt die Transkription für die Einzelhand kompliziert, selbst wenn kein Geringerer als der Klaviervirtuose Johannes Brahms diese Variante in Noten gesetzt und untertreibend bezeichnet hat als "eine Übung für die linke Hand".
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CD-Tipp 03.03.2016
Anna Vinnitskaya spielt Brahms
Anders als der Italiener Ferrucio Busoni in seiner berühmten und später entstandenen Chaconne-Bearbeitung verzichtet Brahms auf große Veränderungen. Statt auf Effekte setzt er mit seiner Version für die linke Hand auf Reduktion und Offenlegung der Strukturen. Als Linkshänderin hat Anna Vinnitskaya sicherlich gegenüber vielen Pianisten einen großen Vorteil. Dennoch ist es faszinierend, wie souverän sie die Linien transparent macht, dynamisch gestaltet und führt. Kein Spannungsbogen wirkt angestrengt oder unglaubwürdig. Die Musik von Bach durch die Sicht von Brahms atmet wunderbar und pulsiert.
Die einhändige Bach-Brahms-Partita hat Anna Vinnitskaya an den Anfang ihrer neuen CD gestellt, um anschließend weiter Brahms zu folgen mit ihrer Interpretation der acht Klavierstücke op. 76, den beiden Rhapsodien und den Fantasien op. 116. So leidenschaftlich erregt und dicht der Klaviersatz dieser Brahms'schen Musik etwa bei den Rhapsodien immer wieder ausbricht, so still und zurückgenommen wirken einzelne Intermezzi. Vinnitskaya gelingt diese Gratwanderung zwischen eruptivem Vorangehen und zurückgenommener Innensicht auf faszinierende Art und Weise. Sie spielt stringent, bleibt im Tempo, versüßlicht nicht durch unmotivierte Ritardandi. Ihr Brahms ist eher klar und fortschreitend als frei improvisierend. Dabei hält sie musikalisch alle Charakterabstufungen zusammen und spielt sehr spannungsreich. Ihre Basslinien bleiben ein unstrittiges Fundament. Durchweg besticht sie mit vollem und substanziellem Klang und feinen Abstufungen.
Alles in allem: diese neue Brahms-CD von Anna Vinnitskaya ist ein "Muss" für jeden Klavier-Fan, ein Muss für alle, die die Frage "Lieben Sie Brahms?" mit Ja beantworten können, kurz: absolut empfehlenswert!
Acht Klavierstücke, op. 76
Zwei Rhapsodien, op. 79
Sieben Fantasien, op. 116
Johann Sebastian Bach/Johannes Brahms:
Chaconne d-Moll, transkribiert für linke Hand
Anna Vinnitskaya (Klavier)
Label: Alpha