Als "Ältester der jungen Komponistengeneration" hatte Bernd Alois Zimmermann nach dem Zweiten Weltkrieg viele Jahre lang einen schweren Stand. 1918 bei Köln geboren, gehörte er zu einer Generation, deren künstlerische Entfaltung durch den Krieg nachhaltig gestört worden war. Gleichwohl ging er – vom Serialismus Darmstädter Prägung sich distanzierend – einen ganz eigenen Weg.
Bildquelle: Wergo
CD-Tipp 07.06.2016:
Der CD-Tipp zum Nachhören!
Vor dem gedanklichen Hintergrund seiner Idee von der "Kugelgestalt der Zeit", in der Vergangenes, Gegenwärtiges und Künftiges zusammen gedacht werden, entwickelte er eine pluralistische Stilistik, in der oft musikalische Zitate aus verschiedenen Epochen miteinander verwoben sind.
Ein besonders typisches Werk für diese pluralistische Kompositionsweise ist das als "Ballet noir" bezeichnete Orchesterwerk "Musique pour les soupers du Roi Ubu", dessen Musik ausschließlich aus Fremd- und Eigenzitaten besteht. Im geradezu barbarischen Finale, dem "Enthirnungsmarsch", bildet der alarmistisch anmutende und gegen Unendlich repetierte Akkord aus Stockhausens Neuntem Klavierstück die mit Bedacht gewählte Trägersubstanz für die Zitate aus Wagners "Walkürenritt" und dem "Gang zum Richtplatz" aus der "Symphonie fantastique" von Hector Berlioz. Die Neueinspielung dieses 1966 entstandenen Schlüsselwerkes um Alfred Jarrys groteske Diktatorenfigur des Ubu ist bestechend vital geglückt. Unter der Leitung von Peter Hirsch befördern die Musiker des WDR-Sinfonieorchesters die Suggestion eines mitreißenden Reigens greller, falschfarbiger Heiterkeit jäh am Rande des Abgrunds.
Als noch wichtiger und verdienstvoller dürfte die fulminante Ersteinspielung der ursprünglichen Fassung von Zimmermanns – später so genannter – Sinfonie in einem Satz zu begrüßen sein. 1952 unter Hans Rosbaud in Köln uraufgeführt, stieß das mosaikhaft gebrochene, hoch expressive Meisterwerk nicht nur auf Verständnis; ist es doch Nachklang und zugleich Vision von Zeitläuften, die vom "apokalyptischen Sturm geschüttelt" sind. Angeregt zum Teil vom Dirigenten, hat Zimmermann seine Partitur also umgearbeitet. Durch formale Streichungen und instrumentationstechnische Metamorphosen entstand dann ein fast neues Stück. Kein einfacher Wechsel des Klangbildes, nein, ein Paradigmenwechsel ward da vollzogen, so Peter Hirsch, dessen Initiative und fulminantem Können die Rehabilitation der tellurisch-wuchtigen, tiefenscharf ausgeleuchteten Erstfassung nun zu verdanken ist. Allein schon das Klangferment der später ersatzlos gestrichenen Orgel potenziert in eruptiven Momenten unerhört Visionäres; etwas vom Immer-Gültigen, das später in der Mega-Oper "Die Soldaten" beschworen werden sollte; etwas aus der Sphäre des Zusammenfalls von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und manch’ leise Phasen gewähren Einblicke in geradezu magische Bezirke.
Selten ist in jüngerer Zeit eine CD erschienen, mit deren musikalischem Repertoire sich auseinander zu setzen derart fruchtbar sein kann. Im ganz umfassenden Sinne: emotional und intellektuell, ästhetisch und bezogen darauf, was überall wetterleuchtet in unserer globalisierten Lebenswelt – jenen, welche die täglichen Nachrichten mit Hirn zur Kenntnis nehmen…
Sinfonie in einem Satz (1. Fassung)
"Giostra Genovese" - Alte Tänze verschiedener Meister für kleines Orchester
Konzert für Streichorchester
"Musique pour les soupers du Roi Ubu"
WDR Sinfonieorchester Köln
Leitung: Peter Hirsch
Label: Wergo