BR-KLASSIK

Weltbürger Bach? Nein, das war er sicher nicht. Gelebt hat er zwischen Eisenach und Ohrdruf, Köthen und Leipzig. Selbst auf Reisen ist Johann Sebastian Bach selten über Thüringen und Westsachsen hinausgekommen. Dresden im Osten, Karlsbad im Süden, Kassel im Westen, Lübeck im Norden: Das sind die äußersten Vorposten, weiter war er nie weg von seiner Heimat Mitteldeutschland.

Und doch war Bach ein guter Europäer. Schon die Namen seiner Klavierwerke zeigen das. Da gibt es das Italienische Konzert, die Französische Ouvertüre, die Französischen und die Englischen Suiten. Bach, dieser Inbegriff angeblich deutscher Tugenden wie Ernst, Tiefe und Gründlichkeit, schreibt über die Sätze seiner Englischen Suiten die Namen galanter französischer Tänze: Sarabande, Musette, Passepied en Rondeau.

Bach war zwar nie in Frankreich, England oder Italien, aber er kannte sehr genau die neuesten musikalischen Entwicklungen in ganz Europa. Und er ließ sich davon inspirieren. Lustigerweise haben ausgerechnet bei den Englischen Suiten die französischen Cembalomeister Pate gestanden. Der Name kommt vermutlich von einem englischen Auftraggeber. Manche Sätze kann man sich ausgezeichnet bei einer eleganten Abendunterhaltung im Schein der Kristall-Leuchter am Hof von Versailles vorstellen …

Phantasie und Spielfreude

Piotr Anderszewski hat hörbare Freude daran, die verschiedenen Charaktere der unterschiedlichen Tanzsätze herauszuarbeiten. Mal fein ziseliert, dann wieder mit motorischem Drive. Hier ist ein aristokratischer Perfektionist am Flügel. Bewundernswert ist seine Anschlagskontrolle: Jeder Ton, jede Verzierung, jeder Triller-Partikel sitzt. Dabei ist Anderszewski keineswegs ein verkopfter Kontrollfreak: Seine enormen technischen Möglichkeiten nutzt er mit größter Phantasie und ansteckender Spielfreude.

Der Weltbürger Anderszewski, in Polen geboren, in Amerika ausgebildet, in Paris lebend, spielt Bachs Englische Suiten mit französischem Esprit: Da haben sich zwei gute Europäer gefunden.