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CD - Mahan Esfahani spielt Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen

Wer in der Klassikwelt berühmt werden will, sollte sich besser für Klavier entscheiden als für Cembalo. Die Fans des barocken Tasteninstruments sind eine überschaubare, aber dafür eingeschworene Gemeinde. Doch Anfang des Jahres wurde ein Cembalist schlagartig bekannt - allerdings auf unerfreuliche Weise. In Köln spielte der iranische Cembalist Mahan Esfahani ein modernes Stück von Steve Reich. Von aufgebrachten Konzertbesuchern wurde er beschimpft, es wurde so laut gelärmt, dass er mitten im Stück abbrechen musste.

Bildquelle: Deutsche Grammophon

CD-Tipp 27.08.2016

Der CD-Tipp zum Nachhören!

An Zuhören war nicht mehr zu denken. Anfeindungen sei er ja gewohnt. Bislang habe er das aber mehr aus Kommentaren im Internet gekannt, meinte der aus dem Iran stammende Cembalist nach dem Konzertskandal im Interview mit BR-KLASSIK. Dass bei den Pöbeleien in der Kölner Philharmonie neben Wut auf die damals gespielte Minimal Music von Steve Reich bei Teilen des Publikums auch fremdenfeindliche Motive im Spiel gewesen sein könnten, ist eine naheliegende Vermutung. In der Klassikszene hatte der Fall im Frühjahr für große Aufmerksamkeit gesorgt. Schließlich stellt man sich den typischen Konzertbesucher gemeinhin als besonders kultiviertes Wesen vor. Stimmt offenbar nicht immer. Umso größer war die Welle der Solidarität für den rüde behandelten Künstler. Und seinem Label beschert die unschöne Geschichte nun ungewohnte Aufmerksamkeit für ein sonst ziemlich schmales Segment. Bachs Goldberg-Variationen zählen zwar zu den beliebtesten Werken der Musikgeschichte, erreichen das breite Publikum aber fast ausschließlich auf dem modernen Konzertflügel statt auf dem Cembalo.

Kontrastierende Klangwirkungen

Dabei schreibt Bach im Titel seiner Variationen ausdrücklich, dass sie für ein Cembalo mit zwei Manualen gedacht sind. Und da sich die Hände bei diesem technisch ziemlich vertrackten Stück häufig kreuzen, macht es das Spiel tatsächlich deutlich leichter, wenn man zwei Tastenreihen zur Verfügung hat. Dann kann die eine Hand ungestört von der andern spielen. Vor allem aber geht es Bach dabei um die kontrastierende Klangwirkung von verschiedenen Registern.

Singendes Cembalo

Mag sein, dass man auf dem Flügel die kontrapunktischen Wunder dieser Musik mit ihren vielen Kanons noch besser darstellen kann. Schließlich lassen sich auf dem modernen Instrument durch differenzierten Anschlag einzelne Stimmen hervorheben, während beim Cembalo innerhalb eines Registers jeder Ton gleich laut ist. Umso wichtiger ist beim Cembalo ein besonders sprechendes und lebendiges Spiel. Wie atmend und beseelt dieses scheinbar so mechanische Instrument klingen kann, zeigt gleich die einleitende Aria, das Thema, das den 30 Variationen zugrunde liegt. Esfahani spielt es zu Beginn fast improvisatorisch, dabei enorm ausdrucksvoll und inspiriert, aus würde diese so vertraute Musik gerade erst in diesem Moment entstehen. Und ja, man kann mit dem Cembalo singen.

Wunderbar pulsierend, nie extrem

Und dann erkundet Mahan Esfahani den Kosmos der 30 Variationen. Unmanieriert und natürlich, mit wunderbar pulsierenden, nie extremen Tempi und plastisch herausgearbeiteten Charakteren. Esfahani spielt mit Lust an der Bewegung, am tänzerischen Impuls, am Grove, mit ganz diesseitiger Freude an der Bewegung. Was nicht heißt, dass seine Interpretation oberflächlich wäre. In den langsamen Variationen zieht er den Hörer hinein Bachs meditative Gedankenwelt. Doch erfreulicherweise verzichtet er darauf, die Goldbergvariationen mit bedeutungsschwangerem Ballast zu beladen. Diese Musik erzählt vom Leben - und im Cembalo steckt mehr davon, als viele Skeptiker sich träumen lassen. Eines jedenfalls ist sicher: Es lohnt sich, Mahan Esfahani zuzuhören.

Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen, BWV 988

Mahan Esfahani (Cembalo)
Label: Deutsche Grammophon

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