In der Popmusik spricht man von "Cover-Versionen", wenn ein bekanntes Stück - möglicherweise mit anderem Text – neu aufgenommen wird. Zu Zeiten Johann Sebastian Bachs war solches "Parodieren" bereits Gang und Gäbe, wie sein "Weihnachtsoratorium" belegt. Auch die sogenannte "Köthener Trauermusik" von 1729 zum Tode von Bachs einstigem Dienstherrn Leopold von Anhalt-Köthen war ein solches Parodiestück, von dem allerdings bislang nur das Text-Libretto aufgefunden wurde, nicht aber die Musik. Jetzt hat sich der Barockspezialist Alexander Grychtolik an einer aufwändigen Rekonstruktion versucht.
Bildquelle: Deutsche harmonia mundi
CD-Tipp 24.02.2016
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Die Gewissenhaftigkeit dieser Rekonstruktion zeigt sich bereits bei der Wahl des Aufnahmeortes: es ist extakt jene Köthener Stadtkirche St. Jakob, in der am 24. März 1729 auch das Original erklang; wobei die damalige Holzempore der spätgotischen Hallenkirche heute nicht mehr existiert; aber auch in puncto Besetzungsstärke orientieren sich Grychtolik und die von ihm gegründete Deutsche Hofmusik an den Gegebenheiten der damaligen Köthener Hofkapelle einschließlich einem kleinbesetzten Vokalensemble, in dem vermutlich auch Bachs 2. Frau Anna Magdalena als ehemalige Hofsängerin mitwirkte.
Während der Chorus "Wir haben einen Gott, der da hilft" auf eine ältere Trauerode zurückgeht, korrespondiert der überwiegende Teil dieser musikalischen Rekonstruktion mit der Frühfassung der "Matthäuspassion". Heißt es in der der "Matthäuspassion" noch "Ich will bei meinem Jesum wachen", so wird daraus in der vorliegenden Gedächtniskantate "Geh, Leopold, zu deiner Ruhe", erwidert vom Choreinwurf "Und schlummre nur ein wenig ein". Wie bei allen Parodiefassungen muss man auch hier zunächst gewisse Hörerwartungen ablegen und sich auf den neuen Kontext einlassen. Dann allerdings begegnet man einem faszinierend eigenständigen und bislang buchstäblich "unerhörten" Opus, zu dessen intimen Höhepunkten zweifellos die Sopranarie "Mit Freuden sei die Welt verlassen" zählt, dargeboten von Sidonie Otto und ebenfalls der "Matthäuspassion" entlehnt ("Aus Liebe will mein Heiland sterben").
24 Sätze insgesamt umfasst die "Köthener Trauermusik", versehen mit der Bachwerk-Verzeichnisnummer 244a – was vor allem auf die "Matthäuspassion" verweist. Und so ist es denn auch kein Wunder, dass das Werk mit denselben Klängen schließt wie diese, nur freilich auf einen anderen Text: "Die Augen seh’n nach Deiner Leiche".
Alexander Grychtolik, der hier zugleich die musikalische Leitung von Orgel und Cembalo aus hat, leistet mit dieser Rekonstruktion einen respektablen Beitrag zur Bach-Gesamtrezeption. Vor allem aber überzeugt die musikalische Interpretation mit ihrem historisch ausgerichteten und dabei doch stets musikantischen Klangbild. Auch die solistischen Gesangspartien entsprechen voll und ganz diesem hohen Gesamtanspruch.
“Köthener Trauermusik” BWV 244a (Rekonstruktion)
Sidonie Otto (Sopran)
David Erler (Altus)
Hans Jörg Mammel (Tenor)
Daniel Ochoa (Bass)
Deutsche Hofmusik
Leitung: Alexander Grychtolik
Label: Deutsche harmonia mundi