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CD - Rudolf Buchbinder spielt Klavierwerke von J. S. Bach

"Wird man nach so vielen Jahrzehnten der intensiven Beschäftigung mit Musik eigentlich irgendwann altersweise?", fragte ich vor kurzem den amerikanischen Dirigenten und Alte-Musik-Experten Joshua Rifkin, Jahrgang 1944, und bekam diese Antwort: "Hoffentlich nicht". Ich habe viel über Rifkins Bonmot nachgedacht seither. Warum schien ihm dieser Begriff "Altersweisheit" suspekt? Wegen des darin enthaltenen "Alters"? Oder als Ausdruck einer eitel-saturierten Daseins-Attitüde, die es vorzieht, pseudoklug über dem Leben zu thronen, statt es leidenschaftlich zu leben, mittendrin?

Bildquelle: Sony Classical

CD-Tipp 19.06.2015

Der CD-Tipp zum Nachhören!

Wie auch immer. Gut, herausragende Künstler um die 70 brauchen heutzutage nicht altersweise zu sein und sind trotzdem – oder vielleicht ja dann gerade deswegen – für Überraschungen gut. Und der österreichische Pianist Rudolf Buchbinder, zwei Jahre jünger als Rifkin, spielt jetzt also – nach einem Leben, das bisher in erster Linie Beethoven, Haydn und Mozart, Schubert und Brahms gewidmet war – Rudolf Buchbinder spielt Johann Sebastian Bach.

Die Zusammenstellung scheint auf den ersten Blick etwas beliebig: Die beiden ersten Partiten aus Bachs spätestem Zyklus von Klavier-Suiten, dazu eine der sogenannten Englischen Suiten. Auf den zweiten Blick: Aha, da gehorcht offensichtlich einfach jemand seinem Bach-Lustprinzip. Hier die träumerische, zart leuchtende B-Dur-Partita mit ihrer berühmten, schmetterlingsflattrigen Gigue, dort das abgründige, zwischen Schmerz und grimmigem Humor hin und her irrlichternde Schwesterwerk c-Moll, schließlich die Englische Suite Nr. 3, grenzensprengend energetisch schon in ihrem fulminanten Präludium. Bach eben in seiner ganzen herzergreifenden emotionalen Spannweite. 

Mit Souveränität, Freiheit und Leidenschaft

Rudolf Buchbinder spürt diesen Emotionen nach bis in ihre feinsten Verästelungen, unverkrampft intuitiv, gelassen, feierlich, zart, kraftvoll, und unter genüsslicher Ausnutzung aller Farb-und Klangmöglichkeiten des modernen Steinways, subtiler Einsatz des Pedals inklusive. Tief "pianistisch" empfunden ist das, durchaus mit Effekt, etwa mit raffinierten Rallentandi an manchen Satzschlüssen, geschickt herausgesungenen polyphonen Linien, glitzernden Anschlagsnuancen. Keine Faxen, nichts Forciertes, nur Ausdruck, Anmut, Reichtum. "Je älter ich werde, desto besser wird meine Technik, desto lockerer werde ich.", bekundet der Pianist – man glaubt es ihm sofort. Das ist Souveränität, das ist Freiheit, das ist Leidenschaft, technisch, künstlerisch.

"Am Ende meines Lebens den Höhepunkt meiner pianistischen Laufbahn zu erleben, das strebe ich an", hat Rudolf Buchbinder vor einiger Zeit in einem Interview gesagt. Er ist dabei, das ehrgeizige Ziel zu verwirklichen. Nun ja, 69 ist er und – altersweise hin oder her - hörbar mittendrin im Leben. Diese Bach-CD lässt hoffen: Die Jahre der Ernte haben gerade erst begonnen.

Johann Sebastian Bach: Klavierwerke

Partita Nr. 1 B-Dur BWV 825
Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826
Englische Suite Nr. 3 g-Moll BWV 808
Rudolf Buchbinder, Klavier
Label: Sony Classical

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