"Mein Herze schwimmt in Blut / weil mich der Sünden Brut / in Gottes heilgen Augen / zum Ungeheuer macht." So der Beginn einer geistlichen Kantatendichtung von Georg Christian Lehms. Lehms, gestorben 1717, am Ende seines kurzen Lebens Hofpoet des Landgrafen zu Hessen-Darmstadt, war einer der literarischen Shootingstars seiner Zeit.
Bildquelle: Carus
CD-Tipp 23.02.2016
Der CD-Tipp zum Nachhören!
Von Georg Philipp Telemann bis Christoph Graupner – wer als Komponist etwas war, stürzte sich auf Lehms‘ geistliche oder weltliche Texte. Und handelte sich damit die Aufgabe ein, solche bizarren Splatter-Szenerien zu vertonen. Vier kühne Bilder in vier Zeilen, im emotionalen Überdruckreaktor zur Bedeutungsfusion gezwungen – solchen Forcierungen muss man erst mal was entgegensetzen können musikalisch. Telemann hin, Graupner her, wirklich konnte das nur einer: Vor fast 300 Jahren, am 12. August 1717 führte in der Weimarer Schlosskapelle der junge Hoforganist und Kapellmeister Johann Sebastian Bach erstmals seine Kantate "Mein Herze schwimmt in Blut" auf. Ein Geniestreich.
Zusammenfallen der Gegensätze: Jubel unter Tränen. Schmerz voller Freude. Drastische Schönheit. Barock, das da heißt: "schräg". Zum Niederknien. Eine Lieblingskomposition anscheinend auch von Bach selber übrigens: "Mein Herze schwimmt in Blut" gehört zu den Kantaten, die er auch später in seinem Leben immer wieder herausholte und aufführte. Dem Stück beigesellt haben Dorothee Mields und das L‘Orfeo Barockorchester unter Michi Gaigg für ihre neue CD mit Bach-Kantaten für Solo-Sopran als hintersinnig-heiteren Kontrast die weltliche Kantate "Ich bin in mir vergnügt". Entzückende Dreingabe: die erst 2005 entdeckte Sopran-Arie "Alles mit Gott und nichts ohn’ ihn", ein musikalischer Geburtstagsgruß aus dem Jahr 1713 für Bachs Weimarer Dienstherren Herzog Wilhelm Ernst.
Die wunderbare Dorothee Mields: Scheinbar mühelos singt sie sich in die verschiedensten Emotionalitäten hinein zwischen weltweisem Lächeln hier und abgrundtiefer Zerknirschung dort. Sicher geführt ist dieser Sopran in allen Registern, hell leuchtend, schlank, voller Wärme und deklamatorischer Kraft, von anrührender Verhaltenheit. Das ist charismatisches Singen. Und das ist delikates Musizieren: Das L’Orfeo Barockorchester lässt sich davon anstecken und fächert Bachs sinnlichen Orchestersatz beseelt in seinen feinen Nuancen auf. Mit und unter den Texten tut sich so eine Sehnsucht auf, die größer ist und universaler als alles, was Worte fassen können. Ja, nur einer konnte das so. Bach forever.
Kantate "Ich bin in mir vergnügt", BWV 204
Kantate "Mein Herze schwimmt in Blut", BWV 199
Aria Soprano solo e Ritornello "Alles mit Gott und nichts ohn' ihn", BWV 1127
Dorothee Mields (Sopran)
L‘Orfeo Barockorchester
Leitung: Michi Gaigg
Label: Carus
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