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CD - Nikolaus Harnoncourt dirigiert Beethovens Missa solemnis

Am 5. März 2016 starb Nikolaus Harnoncourt im Alter von 86 Jahren. Einer seiner letzten großen Auftritte fand im Jahr zuvor in Graz statt, im Rahmen des "Styriarte"-Festivals. Und es war nicht irgendein Werk; sondern Beethovens "Missa Solemnis", das hier zur Aufführung kam: jenes Werk, mit dem Harnoncourt über Jahrzehnte gehadert hatte, bis sich für ihn das vermeintlich "leere Pathos" eines Tages "ins Gegenteil verkehrte".

Bildquelle: Sony Classical

CD-Tipp 22.06.2016

Der CD-Tipp zum Nachhören!

"Assai sostenuto. Mit Andacht" steht über dem Beginn der "Missa solemnis" in der Partitur. Und es ist typisch für Nikolaus Harnoncourt und seinen Deutungs-Ansatz, dass solche Mitteilungen auch den Hörer erreichen und sinniger Weise im Inhaltsverzeichnis dieser CD mit aufgeführt sind. Über 30 solch sensibler Tempoangaben hat Beethoven in seinem Opus summum notiert, und Harnoncourt war vielleicht der Einzige, der die Wichtigkeit dieses metrischen Fahrplans erkannte. Denn er ist die musikalisch-praktische Entsprechung des berühmten "Von Herzen – Möge es wieder zu Herzen gehen", wie es Beethoven ebenfalls auf der ersten Partiturseite notiert hat. Und weil Harnoncourt dies nach so vielen Jahren der kritischen Auseinandersetzung begriff, huldigt seine Interpretation der "Missa" auch nicht dem allseits verbreiteten Überwältigungs-Taumel, sondern konzentriert sich - ganz im Gegenteil – auf die mitkomponierten Zweifel an Gott und der Welt.

Tiefer Stimmton

Was die solistische Besetzung anbelangt, so ist die Altistin Bernarda Fink der alles überstrahlende Stern des Quartetts, während sich die drei Kollegen weit weniger homogen in Harnoncourts Gesamtkonzept fügen. Umso überzeugender treten der Arnold Schönberg Chor und der von Harnoncourt einst gegründete Concentus Musicus in Erscheinung. Musiziert wird übrigens in historisch tieferer Stimmung auf 430 statt 443 Hertz, was nicht nur Klarinetten und Hörnern ein Stück weit hilft, die ohnehin teils grenzwertigen Töne zu realisieren, sondern auch den Sängern.

Menschliche Grenzerfahrungen

Bei alledem bleiben dennoch genügend "Meterialwiderstände" erhalten, die Beethoven nach Harnoncourts Auffassung bewusst mitkomponiert hat – als Indizien menschlicher Grenzerfahrung und letztlich auch des Scheiterns. Das auffallend kleinlaute "Sanctus" in der "Quoniam"-Passage etwa: Hier legt Harnoncourt bewusst den Finger auf dynamische Details und beruft sich dabei auf den Komponisten selbst, der bei Missachtung seiner dynamischen Angaben regelrecht auszurasten pflegte.

Innere Schlachten

Am Ende aber, und das wird in dieser Interpretation mustergültig zum Ausdruck gebracht, sind es für Beethoven nicht die äußeren Schlachten, sondern vielmehr die inneren, die es zu schlagen gilt. So, wie über dem abschließenden "Dona nobis pacem" in der Partitur notiert als "Bitte um innern und äußern Frieden". Es scheint, als habe Nikolaus Harnoncourt seinen persönlichen Frieden mit dieser letzten Aufnahme auf großartige Weise gefunden.

Ludwig van Beethoven: Missa solemnis, op. 123

Laura Aikin (Sopran)
Bernarda Fink (Alt)
Johannes Chum (Tenor)
Ruben Drole (Bass)
Arnold Schönberg Chor
Concentus Musicus Wien
Leitung: Nikolaus Harnoncourt

Label: Sony Classical

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