Ein amerikanischer Kritiker hat ihn "einen der besten unbekannten Komponisten, die das Land zu bieten hat", genannt. Ben Johnston, geboren 1926, ist zeitlebens ein Geheimtipp geblieben. Johnston hatte zwar Kontakte zu Cage und zur experimentellen Musik, aber er ist konsequent seinen eigenen Weg gegangen. Vor einigen Jahren hat er in Donaueschingen kurz für Aufsehen gesorgt, als sein Stück den Preis für das beste Orchesterwerk bekam. Jetzt ist eine CD mit drei Streichquartetten erschienen.
Bildquelle: New World Records
Der CD-Tipp zum Anhören
Er lebt auf einer einsamen Farm im Mittleren Westen, umgeben von Kornfeldern, weit draußen vor den Toren der Stadt Madison im US-Bundesstaat Wisconsin. Ein Außenseiter, fernab von den Zentren der Neuen Musik. 91 Jahre alt ist Ben Johnston inzwischen, ein bärtiger Weiser im Rollstuhl, der mit brüchiger Stimme Verse des mittelalterlichen islamischen Mystikers Rumi rezitiert.
14 Jahre lang pilgerte das Kepler Quartet zu ihm. 14 Jahre, in denen die vier Amerikaner an der Gesamteinspielung von Johnstons Streichquartetten arbeiteten. Die zählen wegen ihrer unendlich fein ausdifferenzierten Mikrotöne zum anspruchsvollsten der Quartettliteratur überhaupt. Zwei CDs sind schon erschienen, die schwierigsten Stücke aber hat man sich bis zum Schluss aufgehoben. Nun ist das Werk vollbracht.
Mit Haut und Haaren hat sich Ben Johnston der sogenannten "reinen Stimmung" verschrieben - ein Leben lang. Einer Stimmung, die sich an den natürlichen Obertönen orientiert und viel älter ist als die heute gängige temperierte Skala. Dass auf einem Klavier alle Halbtonschritte gleich groß sind, empfand Johnston als Verarmung. Und so tauchte er tief ein in die wundersame Welt der Töne zwischen den Tönen. In seinem Siebten Streichquartett teilt er die Oktave nicht in 12, sondern in unglaubliche 176 Stufen auf. Daraus erwächst eine fremdartige Schönheit, in die man sich allerdings erst mal einhören muss. Zudem ist das Stück übermenschlich schwer zu intonieren - weshalb sich 30 Jahre lang niemand heranwagte. Bis das Kepler Quartet kam. Und siehe da, das scheinbare Gedankenexperiment entpuppt sich als abwechslungsreiches, klar gegliedertes und stellenweise fast romantisches Stück, in dem die Streicher mal singen, mal meditieren, mal wispern wie Insekten.
Anderthalb Jahre Probezeit benötigte auch das Sechste Streichquartett von Ben Johnston, ein langer lyrischer Strom, der Unvereinbares vereint, reine Stimmung und Zwölftontechnik. Dagegen ist das achte Quartett für Hörer wie Interpreten das reinste Wellness-Vergnügen mit seinem spitzbübischen Walzer und seinem fröhlichen Hillybilly-Kehraus. Das Kepler Quartet, eigens gegründet, um Ben Johnstons Herausforderungen zu meistern, gelingt mit dieser CD ein Bravourstück: präzise und zugleich virtuos, metaphysisch tiefsinnig und dabei urmusikantisch. Trotz der vielen, vielen Aufnahmesessions gerät der große Bogen nie aus dem Blick. Mag sein, dass diese Musik, dass dieses aufwändige Projekt an Irrsinn grenzt. Aber in der Kunst braucht es nicht die Lauen und die Selbstvermarkter, sondern gerade solche Visionäre wie Ben Johnston und das Kepler Quartet.
Kepler Quartet
Label: New World Records
Sendung: "Leporello" am 12. Oktober 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK