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CD - Antonio Pappano dirigiert Leonard Bernstein - Die Symphonien

Leonard Bernstein war Komponist, Dirigent, Pianist und Geschichtenerzähler. Wie einstmals die großen Männer der Renaissance war er erfüllt von einem Hunger nach Wissen und einer Lust am Fragenstellen. Kein Wunder also, dass die Zahl der Mythen, die um ihn ranken, gerade zu seinem 100. Geburtstag immer mehr werden. Eine gute Gelegenheit auch, seine Kompositionen bekannter zu machen. Sir Antonio Pappano hat die drei Symphonien Bernsteins mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia aufgenommen – einem Orchester, dem Bernstein über viele Jahre verbunden gewesen ist.

Bildquelle: Warner Classics

CD-Tipp zum Anhören

Bernstein modelliert seine drei Symphonien ganz ähnlich wie seinen größten Hit, die "West Side Story": rhythmisch so exzentrisch, dass einem der Blutdruck in die Höhe schießt. Die musikalischen Themen dagegen dressiert er penibel wie einen Zirkuspudel: sie tänzeln und hüpfen – zeigen sich schlicht, aber nicht fad, zeichnen klare Linien, aber sind nicht schnurgerade. In allen drei Symphonien geht es um metaphysische Fragen, also letztlich darum, was unser Leben im Innersten zusammenhält. Und jede der Symphonien spiegelt eine andere Lebensphase, einen anderen Teil von Leonard Bernsteins Persönlichkeit wieder.

Philosophieren in Whiskey-Laune

Gewitzt und wendig meistert die junge Pianistin Beatrice Rana den Klavierpart in Bernsteins Zweiter Symphonie. Sie versteht es, sich ans Orchester zu schmiegen, wenn es grell funkelt. Sie versteht es aber auch, dem exzellent musizierenden Orchestra dell Académia Nazionale die Santa Cecilia Kontra zu geben und lauthals Reden zu schwingen. Das sind die Momente, in denen man meint, Bernstein persönlich säße am Klavier und philosophiere in Whiskey-Laune über den Sinn des Lebens. Ja, Bernstein hat im Klavierpart der 2. Symphonie eine Art Selbstporträt geschaffen, "The Age of Anxiety" – basierend auf dem gleichnamigen Poem von W.H. Auden, in dem sich vier Leute so heftig betrinken, als würden sie dafür bezahlt. Mein Favorit auf dieser CD.

Grandiose Kontrolle

Dirigent Antonio Pappano behält im Klang- und Rhythmusstrudel einen klaren Kopf. Er kontrolliert grandios, er entgiftet gelassen, lässt zwischendrin immer wieder die Zügel locker und zähmt mutig wie in Bernsteins Erster Symphonie. Es haftet gerade dieser Symphonie "Jeremiah", in der es um die Zerstörung des ersten Tempels geht, etwas Archaisches an. Und so scheint es, als würde man wirklich ins biblische Zeitalter katapultiert. Zumal die Gesänge in hebräischer Sprache sind. Das allerdings ist nicht Ausdruck einer orthodoxen Religiosität von Bernstein.

Schokoladiger Sopran

Auch bei der Symphonie Nr. 3 "Kaddish" – das ist das jüdische Totengebet – handelt es sich nicht um ein herkömmliches religiöses Bekenntnis, eher um ein in Musik gesetztes Ringen mit dem Glauben. Hier tischt Bernstein auf, was das musikalische Schlaraffenland bietet: klare Knabenstimmen, dazu einen sahnigen Chor, einen schokoladigen Sopran, ein dick besetztes Orchester.

Klangrausch ohne Kater

Der weniger Bernstein-erprobte Hörer sollte sich die Einspielung der drei Symphonien wohldosiert zu Gemüte führen und besser satzweise genießen, etwa so wie einen guten Malt Whiskey. Der Kenner freut sich an den überzeugenden Interpretationen dieser Werke sowie an der von Benny Goodman inspirierten äußerst coolen Nummer "Prelude, Fugue and Riffs". Wie intensiv auch immer man sich dem Bernstein-Klangrausch hingibt, einen Kater bekommt man zum Glück nicht davon.

Leonard Bernstein - Die Symphonien

Symphonie Nr. 1 "Jeremiah"
Symphonie Nr. 2 "The Age of Anxiety"
Symphonie Nr. 3 "Kaddish"
"Prelude, Fugue and Riffs"

Marie-Nicole Lemieux (Mezzosopran)
Beatrice Rana (Klavier)
Nadine Sierra (Sopran)
Josephine Barstow (Sprecherin)
Alessandro Carbonare (Klarinette)
Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia
Leitung: Antonio Pappano

Label: Warner Classics

Sendung: "Piazza" am 25. August 2018, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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