In den letzten Jahren vor seinem Tod war Claudio Abbado besonders eng mit dem Lucerne Festival verbunden und hat dort ein eigenes Weltklasse-Orchester gegründet. Nun ist der Live-Mitschnitt von Abbados letztem Luzerner Konzert erschienen.
Bildquelle: Deutsche Grammophon
CD-Tipp 02.08.2014
Der CD-Tipp zum Nachhören!
Bildquelle: Deutsche Grammophon Seine letzte Aufnahme. Das klingt nach Vermächtnis, nach letztem Willen. Und dann auch noch dieses Stück: Anton Bruckners unvollendete, aber monumentale Neunte Symphonie – auch dies ein letztes Werk. Wie passend. „Feierlich, misterioso“ steht über dem ersten Satz. Knapp eine halbe Stunde dauert er, aber bei diesem außergewöhnlichen Konzertdokument vergisst man Zeit und Raum.
Nein, dieser wunderschöne Livemitschnitt hat es nicht nötig, dass man eine schicksalhafte Bedeutung in ihn hineinliest, die er gar nicht haben konnte. Dafür hatte Abbado einfach noch zu viel vor, als er am 26. August 2013 ein Konzert in Luzern dirigierte, das sein letztes werden sollte. Der Terminkalender des Dirigenten und Orchestergründers war auf Jahre hin voll. Verwirklichen konnte er diese Pläne nicht mehr. Doch Abbado war kein Freund von Weihrauch und bedeutungsschwerem Pathos. Und so hätte es ihm vermutlich nicht gefallen, wenn man diese letzte Aufnahme zum Testament stilisiert. Emotional, tief empfunden und immer wieder berührend ist diese Interpretation. Aber das ist bei Abbado nichts Außergewöhnliches. Auffällig ist eher, wie durchsichtig und flüssig er Bruckners klanggewaltige Symphonie gestaltet. Hier gibt es keinen Bombast, kein Raunen und nur so viel Pathos, wie Bruckner wollte und braucht.
Natürlich geht es hier um letzte Dinge, um einen großen Abschied von der Welt – wir haben es schließlich mit einer Mammut-Symphonie zu tun, einer Neunten, die nicht zufällig in derselben Tonart steht wie Beethovens Neunte. All die Themen, die Bruckner immer wieder beschäftigt haben, werden noch einmal aufgegriffen: Die Naturstimmungen, die feierlichen Blechbläser-Choräle, der nostalgische Tonfall der österreichischen Ländler und Walzer, Musik mit Dialekt sozusagen. Aber es gibt auch die Vorahnung kommender Katastrophen. Vor allem im langsamen Satz schreibt Bruckner Dissonanzen, die noch deutlich heftiger und radikaler sind in ihrer kompromisslosen Modernität als bei dem etwas späteren Gustav Mahler.
Doch am schönsten an dieser Aufnahme sind nicht die dramatischen Stellen, sondern die gesanglichen, die einfachen und gerade dadurch berührenden Momente. Claudio Abbado gibt ihnen einen wunderbar schlanken Klang, wählt flüssige Tempi, widersteht der naheliegenden Versuchung, sozusagen noch einen drauf zu setzen: Kraftvoll und feierlich ist Bruckners Musik ohnehin, da darf der Klang nicht auch noch dick und düster sein. Das Lucerne Festival Orchestra, von Abbado gegründet und auf ihn eingeschworen, spielt so lebendig, kommunikativ und mit soviel Initiative, als würde es Kammermusik machen. Für mich war Abbado der größte Dirigent der letzten Jahrzehnte. Ein wenig neidisch macht diese Aufnahme: Bei diesem Konzert wäre man zu gern dabei gewesen. Gut, dass sie jetzt veröffentlicht wurde.
Lucerne Festival Orchestra
Leitung: Claudio Abbado
Label: Deutsche Grammophon