Andris Nelsons mutet sich ab der kommenden Saison eine transatlantische Doppelbelastung zu: Dann nämlich übernimmt der begehrte Pultstar zusätzlich zu seiner Chefposition beim Boston Symphony Orchestra die Leitung des Leipziger Gewandhausorchesters. Zudem hat er zwei langfristige Projekte vereinbart: Mit dem Bostoner Orchester spielt er einen Schostakowitsch-Zyklus ein, mit den Leipzigern einen Bruckner-Zyklus, den der Bayreuth-gestählte Nelsons mit Wagner-Highlights koppelt.
Bildquelle: Deutsche Grammophon
Der CD-Tipp zum Anhören
Fast impressionistisch zart klingt das bei Andris Nelsons, wenn Tannhäuser in den Armen der Venus erwacht. Und schon hier, in Wagners "Tannhäuser"-Ouvertüre, demonstrieren die Musiker des Leipziger Gewandhausorchesters ihre überragenden solistischen Qualitäten. Bruckner mit Wagner zu kombinieren, macht gerade bei der Dritten Symphonie Sinn. Hatte Bruckner doch ursprünglich Wagner-Zitate in die Partitur eingebaut und sie devot dem Bayreuther Meister gewidmet. Der reagierte aber nicht, und so flogen die Zitate wieder raus. Aber dafür findet Bruckner in seiner Dritten Symphonie erstmals ganz zu sich und seinem Stil.
Wunderbar weich intonieren die Blechbläser des Gewandhausorchesters die choralartigen Höhepunkte in Bruckners Dritter. Nelsons disponiert die großen Steigerungswellen weiträumig und mit größter Ruhe. Den dunklen, warmen Streicherklang der Leipziger kostet er auch im feierlichen Adagio aus und lässt ihnen alle Zeit der Welt, um sich innig auszusingen. Anklänge an die chromatische "Tristan"-Welt sind auch in den Wagner-bereinigten Folge-Fassungen der Dritten Symphonie nicht zu überhören.
Andris Nelsons ist ein Emotionsmusiker par excellence. Man mag ihm die extrem langsamen Tempi seiner Bruckner-Interpretation ankreiden - die hochmotivierten Mitglieder seines künftigen Orchesters füllen sie mit Herzblut aus. Und die Walzer-artige Ländler-Episode im markigen Scherzo nimmt Nelsons heiter gelassen, charmant und duftig.
Bruckners "Wagner-Symphonie" blieb sein Schmerzenskind, die Uraufführung der zweiten Version geriet ihm zum Fiasko, in der Hoffnung auf Erfolg arbeitete er das Werk weiter um und ließ sich auf radikale Kürzungen ein. Leider folgt auch Nelsons der fragwürdigen dritten und letzten Fassung mit dem verstümmelten Finale, die sich im Konzertsaal durchgesetzt hat. Sei’s drum - das Leipziger Gewandhausorchester präsentiert sich unter Nelsons in Topform und kann seine große Bruckner-Tradition klangvoll ausspielen.
Anton Bruckner:
Symphonie Nr. 3 d-Moll
Richard Wagner:
"Tannhäuser"-Ouvertüre
Gewandhausorchester Leipzig
Leitung: Andris Nelsons
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Leporello" am 08. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK