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CD - Cecilia Bartoli singt "St. Petersburg"

Ob als glatzköpfiger Priester, androgyne Marmorstatue oder Anita Ekberg-Kopie in einem römischen Brunnen: Auf ihren spektakulären Plattencovers pflegt Cecilia Bartoli mit großer Lust an der Verwandlung für ihre neuesten musikalischen Entdeckungen zu werben. Der schneeweiße Pelz, in den sie sich für ihr aktuelles Album hüllte, lässt an eine russische Schlittenfahrt denken.

Bildquelle: Decca

Der CD-Tipp zum Anhören

Tatsächlich überrascht die temperamentvolle Mezzosopranistin diesmal mit Arien vergessener Komponisten, die im 18. Jahrhundert am St. Petersburger Zarenhof wirkten. Elf Weltersteinspielungen belegen, dass es eine glanzvolle russische Barockoper gab, begründet von italienischen Komponisten wie Francesco Araia, Vincenzo Manfredini oder Luigi Madonis. Ein in der Tat vernachlässigter Aspekt der Musikgeschichte, den die "abenteuerlustigste Diva unserer Zeit" (New York Times) mit dem Originalklang-Ensemble I Barocchisti unter Diego Fasolis eindrucksvoll wiederbelebt. Am 26. November 2014 gastiert Cecilia Bartoli übrigens mit ihrem "St. Petersburg"-Programm im Münchner Herkulessaal.

Entdeckungsfreudige Solistin

Drei mächtigen Frauen widmet Cecilia Bartoli ihr neues Album: den Zarinnen Anna, Elisabeth und Katharina der Großen. Ihnen ist eine barocke Blütezeit der Oper in Russland zu verdanken, die vom Rest der Welt kaum zur Kenntnis genommen wurde. Die entdeckungsfreudige römische Mezzosopranistin förderte die Manuskripte im schwer zugänglichen Archiv des St. Petersburger Mariinsky-Theaters zu Tage und bewies wieder einmal eine gute Spürnase: Der Neapolitaner Francesco Araia etwa wurde 1735 zum ersten russischen Hofkomponisten ernannt. In Italien hatte er brillante Koloraturarien für Kastratenstars geschrieben, an der Newa scheint er einen tiefen Blick in die russische Seele geworfen zu haben.

Barockoper auf russisch

Das "Fenster zum Westen", das schon Peter der Große aufgestoßen hatte, diente seiner Nichte Anna also zum Import der europaweit gepflegten italienischen Seria-Oper, zunächst samt der italienischen Sänger. Später avancierten auch Mitglieder des St. Petersburger Hofchores zu Solisten und erste Libretti in der Landessprache entstanden. Obwohl der Hofkomponist mittlerweile ein Deutscher war: Hermann Raupach aus Stralsund.  Barockoper auf russisch – das war auch für Cecilia Bartoli eine Premiere!

Oper als westöstliche Koproduktion

Die Musik als kulturelle Vermittlerin, Oper als "westöstliche" Koproduktion – im 18. Jahrhundert funktionierte das offenbar. Auch deshalb lagen Cecilia Bartoli diese Weltersteinspielungen aus der Geburtsstunde des russischen Musiktheaters am Herzen. Erscheint es doch derzeit als geradezu utopische Hoffnung, dass Ost und West sich jemals wieder so innig verstehen werden wie Flöte und Mezzosopran in der Arie "Non turbar que‘ vaghi rai" von Vincenzo Manfredini:

Beeindruckende Ausdrucksintensität

Auf jeden Fall zeigen Cecilia Bartoli und die fulminant musizierenden "Barocchisti" unter Diego Fasolis mit beeindruckender Ausdrucksintensität, dass es schon lange vor Glinkas "Ein Leben für den Zaren" Oper in Russland gab – den Zarinnen sei Dank! Und "Cecilia der Großen" ist mal wieder ein Coup gelungen!

Cecilia Bartoli - "St. Petersburg"

Arien von Francesco Domenico Araia, Hermann Raupach, Domenico dall’Oglio, Luigi Madonis, Vincenzo Manfredini und Domenico Cimarosa
Cecilia Bartoli (Mezzosopran)
Coro della RSI Radiotelevisione svizzera
I Barocchisti
Leitung: Diego Fasolis
Label: Decca

Sendung: "Leporello" am 17. Oktober 2014, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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