Goethes "Erlkönig" ist wohl ist wohl die Ballade aller Balladen. Auch die Komponisten haben sie geschätzt: Bekannt wurden die Vertonungen von Franz Schubert und - in einer dramatisch aufgepeitschten, schwarzromantischen Version - Carl Loewe. Beide sind untrennbar verknüpft mit großen Namen wie Theo Adam oder Hermann Prey. Auf seiner Debüt-CD steigt nun David Jerusalem in den Hades von Schauer, mystischer Naturgewalt und tiefenpsychologischer Naturmagie hinab. Und das, was er dem Hörer in den 16 Balladen präsentiert, sind packende Miniatur-Tatorte. Psycho-Krimis, die das Schaudern lehren.
Bildquelle: Hänssler Classic
Der CD-Tipp zum Anhören
David Jerusalems voluminös tönender Bassbariton ist unüberhörbar operngeschult, und diese üppigen stimmtheatralischen Möglichkeiten setzt er perfekt ein. Ob gewaltsam-brutal wie bei dem "Zwerg" von Schubert oder perfide-dämonisch wie beim "Erlkönig", ob mit balladeskem Erzählton oder versunkener Nachdenklichkeit wie bei der "Uhr" oder "Tom der Reimer": David Jerusalem weiß viele Register zu ziehen, mit denen er den so unterschiedlichen Erzählsträngen eine jeweils markante individuelle Stimme und Stimmung gibt.
Die Wahl des Sujets der tief romantischen Ballade erweist sich als kluge Wahl für die erste CD des 33-jährigen Sohnes von Heldentenor und Wagnerikone Siegfried Jerusalem. David, der seine Sängerkarriere von Beginn an auf eigene Füße gestellt hat und derzeit zum festen Ensemble der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf gehört, verbindet mit seinem Vater dennoch manch heldisches Stimmtimbre und eine ungeheure naturalistische Gestaltungspräsenz. Für den zumeist erzählerischen Balladenton sind dies geradezu ideale Voraussetzungen. Mit einer Palette voll dynamischer Spannungskurven, artikulatorischer Klarheit und fesselnder Rollenwechsel reißt uns David Jerusalem mit auf seine Seelen-Achterbahnfahrten durch das Nachtalben-Dunkel dieser frühromantischen musikalischen Dramen.
Beim Parforceritt durch dunkles naturmystisches Erlkönigland ist Pianist Eric Schneider dem Sänger ein leidenschaftlicher Begleiter. Die musikalischen Klippen mit finster entschlossener Verve zu erklimmen, scheint ihm die reinste Lust zu sein. Gerne würde man diese pianistischen Geländegänge allerdings aufnahmetechnisch etwas präsenter erleben: wenn Schneider die pianistische Topographie vor unseren Ohren rasant ausbreitet, uns schon ahnen lässt, wo der nächste Abgrund lauert, sich die Katastrophe ankündigt und selbst die feinste und zarteste Melodie nichts Gutes ahnen lässt.
Und doch erfüllt sich auf dieser CD Fausts Vermächtnis auf wunderbare Weise: "Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil; wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure, ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure." 77 Minuten schönste Schauer – hier wird’s Ereignis!
Balladen von
Franz Schubert
und
Carl Loewe
David Jerusalem (Bassbariton)
Eric Schneider (Klavier)
Label: Hänssler Classic
Sendung: "Leporello" am 27. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK