Wenn Debussy eines nicht mochte, dann die Bezeichnung "Impressionist". Immer wieder protestierte er dagegen, in eine Schublade gesteckt zu werden. Die zeitgenössische Dichtung von Baudelaire, Verlaine und Mallarmé habe ihn weit mehr inspiriert als die impressionistische Malerei. Und außerdem bevorzugte er japanische Holzschnitte: klare Linien statt wolkiger Farbtupfer.
Bildquelle: Naïve
CD-Tipp 27.11.2015
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Es half alles nichts. In den Aktenordnern der Musikgeschichtsschreibung wurde Debussy unter dem Stichwort "musikalischer Impressionismus" abgeheftet – die Schublade war allzu praktisch, und die Assoziation durchaus naheliegend.
"Brouillards" – zu deutsch: Nebel, so heißt das erste Stück aus dem zweiten Band der Préludes von Debussy. Und tatsächlich: Debussy zerstäubt den Klang, löst alle klaren Konturen auf, ganz ähnlich wie die impressionistischen Maler – bis plötzlich die Wolken zur Seite treten. Eine Linie zeichnet sich ab, einstimmig und unbegleitet, aufgespalten ins höchste und tiefste Register – ein magischer Moment.
Auf solche magischen Momente, auf solche Kontraste hat es Debussy abgesehen. Und auf die psychologische Wirkung, die sie hervorrufen. In seinen Préludes geht es nicht um Naturbilder, nicht darum, die äußere Wirklichkeit abzumalen, sondern um Stimmungen. Manchmal um feinste Seelenregungen, manchmal auch um literarische Gestalten wie den kleinen Puck oder die Nixe Undine. Und so gibt es in Debussys 24 Préludes neben wolkigen Klangnebeln auch scharf gezeichnete Porträts und groteske Charakterstudien – etwa wenn Debussy liebevoll die zeitgenössische Unterhaltungsmusik der populären Music Halls karikiert. Oder wenn er die exzentrischen Zuckungen eines Clowns in Musik übersetzt.
Er ist Schüler von Alfred Brendel, stammt aus dem schweizerischen Tessin, ist Anfang 30 und lebt in Berlin: Der Pianist Franceso Piemontesi hat, seit er 2009 von der BBC als "New Generation Artist" ausgewählt wurde, eine beeindruckende Karriere gemacht. Er spielt mit Musikern wie Zubin Mehta, Roger Norrington, Jörg Widmann oder Renaud Capucon, mit dem London Philharmonic oder dem Cleveland oder dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
Francesco Piemontesi nähert sich Debussy von der psychologischen Seite. Klang ist für ihn Mittel zum Zweck. Und so verzichtet er auf den beliebten impressionistischen Weichzeichner. Nein, Debussy muss keineswegs immer schleichen wie eine Katze. Feinste Nuancen stehen neben scharfen Kontrasten, schwebende Klänge neben heftigen Akzenten, träumerische Verlorenheit neben sich überschlagenden Ereignissen. Piemontesi stellt seine Klangphantasie und seine makellose Technik bedingungslos in den Dienst der Imagination, egal ob es um feierlich schreitende Tänzerinnen aus dem alten Griechenland geht, um das berühmte Mädchen mit den Flachshaaren oder die Sage von der versunkenen Kathedrale. Eine Einspielung, die sich auf ihre Weise neben legendären Interpretationen wie denen von Friedrich Gulda, Arturo Benedetti Michelangeli oder Jean-Efflam Bavouzet behaupten kann. Chapeau.
Franceso Piemontesi (Klavier)
Label: Naïve