Von Max Bruchs umfangreichem und gattungsübergreifenden Oeuvre ist heute eigentlich nur noch das erste Violinkonzert und "Kol Nidrei" für Violoncello und Orchester im Konzertleben präsent. Nun hat sich das zuletzt für seinen Schubert-Zyklus hochgelobte Diogenes-Quartett den nahezu unbekannten Streichquartetten des Kölner Komponisten angenommen.
Bildquelle: Brilliant Classics
CD-Tipp 06.04.2016
Max Bruch sämtliche Streichquartette mit dem Diogenes Quartett
Als Weltersteinspielung präsentiert das deutsche Quartett mit Sitz in München auch Bruchs erst 2013 wiederentdecktes Streichquartett in c-Moll op. posth. - ein Jugendwerk, mit dem sich der damals gerade 14-Jährige erfolgreich für ein Stipendium beworben hatte.
Die zufällige Entdeckung der handgeschriebenen Partitur eines Streichquartetts in c-Moll von Max Bruch war ein Glücksfall. Das Manuskript ohne Angabe eines Verfassers wurde bei Recherchen im Archiv der Frankfurter Mozartstiftung in einer Schachtel gefunden. Erst später stellt sich heraus, dass es sich um das bisher unveröffentlichte Meisterwerk des jugendlichen Komponisten handelte, mit dem er 1852 das begehrte Stipendium der Mozart-Stiftung errang. Das Streichquartett beginnt mit einem langsam-schwermütigen Adagio, das in ein leidenschaftlich beschwingtes Allegro mündet. Auch wenn der Vierzehnjährige das klanglich raffinierte Werk mit dem Motto "Nunquam retrosum - niemals rückwärts" überschrieb, spürt man doch den Einfluss romantischer Vorbilder wie Schubert, Mendelssohn oder Schumann.
Auch Bruchs vier Jahre später komponierte Streichquartett op. 9 steht wieder in c-Moll. In diesem Quartett verwendete er Material aus den beiden Mittelsätzen des Jugendwerkes und fand zugleich seinen ganz eigenen, durch eine subtile Melodik charakterisierten Ton. Mit wunderbar weitem Atem entfalten sich die melodischen Bögen im träumerisch-expressiven Adagio, das vom Diogenes Quartett mit hinreißender Anmut musiziert wird.
Es ist berückend, mit welch' sensibler Präsenz das Diogenes Quartett den verschlungenen polyphonen Pfaden der Streichquartettkunst Bruchs nachspürt. Eine weniger durch gestische Aufladungen als durch meditative Achtsamkeit erzeugte Intensität zeigen die Vier auch in ihrer Gestaltung des Quartetts op. 10 in E-Dur, das ebenfalls im Jahr 1857 während eines Leipzig-Aufenthalts des Komponisten entstand. Auch dieses Werk besticht durch seinen Reichtum an melodischen Einfällen und seine komplexe kontrapunktische Arbeit. Das abschließende "Finale. Vivace" wirkt in dem fast schwebend-leichten Spiel des Diogenes Quartetts wie lichtdurchflutet mit einem tänzerisch-heiteren Charakter.
Max Bruchs Streichquartette mit dem Diogenes Quartett, das ist Kammermusik-Romantik vom Feinsten - eine hörenswerte Wiederentdeckung in einer faszinierenden Interpretation.
Max Bruch:
Streichquartett c-Moll op. posth.
Streichquartett c-Moll op. 9
Streichquartett E-Dur op. 10
Diogenes Quartett
Label: Brilliant Classics