Lust- und kraftvoll - so kamen die Stücke der schwedischen Formation e.s.t. daher. Das Trio um Esbjörn Svensson riss mit und fesselte mit kompaktem Sound. Kurz vor dem traurigen Jahrestag von Esbjörn Svenssons Tod hat das Plattenlabel des Pianisten eine Live-Aufnahme von 2005 aus London veröffentlicht – eine, die das Trio in Hochform zeigt.
Bildquelle: ACT
CD-Tipp 18.05.2018
e.s.t. live in london
Mit Applaus beginnt diese CD – dem Jubel des Publikums in einer großen, offenbar ausverkauften Konzerthalle. Und das zeigt schon: ein alltägliches Jazzkonzert war das damals nicht. Denn es war ein Konzert von e.s.t. – dem Trio um Pianist Esbjörn Svensson. Einem Trio, das einst neue Maßstäbe setzte. Und hier in einer Glanzphase zu hören ist: aufgenommen im Mai 2005, im Barbican Centre in London. 13 Jahre alt ist diese Musik – aber sie wirkt nicht so. Diese Töne sind ungekünstelt schön, unverstellt lyrisch – haben eine sinnliche Nahbarkeit. Und wenn es sein muss, können sie auch richtig losgrooven.
Jazz, der eigentlich Rock ist. Oder Rock, der eigentlich Jazz ist? Musik, die auf jeden Fall stets etwas unmittelbar Zupackendes hat. Das war es, was viele Musikfans zwischen 1999 und 2008 zunächst in Europa und dann auch in den USA und anderen Teilen der Welt faszinierte: Dieser Trio-Jazz stand mitten im Hier und Jetzt. Er war anders: emotional direkt, weit weg von üblichen Jazz-Versatzstücken. Er war kantig und poetisch zugleich. Musik für offene Ohren und fürs Herz. Ein warmer Starkregen für die Gemüter von Leuten, die mit Jimi Hendrix und Johann Sebastian Bach genau so viel anfangen können wie mit Miles Davis.
Coole Kanten, starke Themen. Und eine Lust, die Stücke bis ins Extrem auszureizen: Wie eine Entdeckungsreise der Band zu ihren eigenen Möglichkeiten wirken diese Aufnahmen aus London – und das macht sie besonders aufregend für die Hörer. e.s.t. verschob die Grenzen nach hier, nach dort – und fand dabei doch anscheinend immer zu sich selbst.
Eines von vielen Highlights dieser Aufnahme: die Komposition "Viaticum", die mit Akkorden beginnt, die von fern an den Anfang von Mozarts Requiem erinnern. Ein ergreifendes Stück mit schönen Harmonien und feinem Pathos. Hört man es heute, wirkt es wie ein Nachruf der Band auf ihren musikalischen Mittelpunkt – den wandelbaren Poeten am Klavier, der am 14. Juni 2008 bei einem Tauchunfall ums Leben kam, wodurch auch der Höhenflug von e.s.t. jäh gestoppt wurde. Takt für Takt, Stück für Stück ist diese Musik hier wieder so unalltäglich wie vor mehr als einem Jahrzehnt. Sie war keineswegs nur das Summen einer Eintagsfliege, sondern ein Klang, der so tiefgründig wie effektvoll war. "e.s.t. – live in london", eine Zeitreise ins zeitlos Fesselnde.
Esbjörn Svensson Trio
Mitschnitt eines Live-Konzerts in London aus dem Jahr 2005
Label: Act
Sendung: "Leporello" am 18. Mai 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK