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CD - Frank Martin "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke"

Die Musik des 1974 gestorbenen Schweizers Frank Martin ist nicht populär. Der meist zurückgenommene lyrische Tonfall, das Changieren zwischen Tonalität und Atonalität mit nur gelegentlichen Anleihen bei der Zwölftontechnik, all das beließ Martin nach dem Krieg eher im Schatten der europäischen Musikszene. Das ist schade, denn wer sich auf seine unverwechselbare Sprache einlässt, dem eröffnen sich wunderbare Welten. Ein wenig Geduld mag gelegentlich vonnöten sein, auch im Fall des einstündigen, fast nie zu hörenden Liederzyklus "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke".

Bildquelle: Philharmonia Records

Der CD-Tipp zum Anhören

Martin hatte Skrupel, als er sich 1942 an die Vertonung der Prosaverse Rainer Maria Rilkes machte, handelt es sich beim "Cornet" doch eher um eine epische Erzählung als um einen Gedichtzyklus. Auch Martins Respekt vor Rilkes per se stark rhythmisierter, ja musikalisierter Sprache und der Zweifel, ob die Musik überhaupt in der Lage sei, diesem Text eine eigene Deutungsebene hinzuzufügen, ließen ihn zögern. Unterstützt von seiner deutschsprachigen Frau ließ sich Martin jedoch auf das Wagnis ein und schuf einen der großen Vokalzyklen des 20. Jahrhunderts.

Überwältigende empfindsame Schönheit

Die Geschichte vom 18-jährigen Cornet Christoph Rilke, der in den Türkenkriegen des 17. Jahrhunderts der Liebe begegnet, um wenig später auf dem Schlachtfeld einen sinnlosen Heldentod zu sterben, mag zeitgebunden sein. Bei aller Eindringlichkeit ist Rilkes 1912 wie im Rausch niedergeschriebenen Schilderungen des Krieges anzumerken, dass sie von den entsetzlichen maschinellen Gräueln des Ersten Weltkrieges noch nichts wussten. Doch seine Sprache ist von einer auch heute überwältigenden empfindsamen Schönheit. Und Martin schuf eine Musik, die nichts verdoppelt, wenig kommentiert, in ihrer sogartigen Intensität vielmehr einen völlig eigenständigen Zugang zu Rilke eröffnet. Ein Meisterwerk, dem Text ebenbürtig, über den Fritz J. Raddatz 2009 wohl zu Recht schrieb: "Und hätte Rilke nur diese nicht einmal zwanzig Seiten geschrieben: er wäre ein Gigant."

Referenzaufnahme eines einzigartigen Werks

Die Mezzosopranistin Okka von der Damerau gestaltet diese wundervolle Musik schlicht großartig, singt enorm ausdrucksstark und versucht doch nie zu viel an Deutung: ein grandioser Balanceakt zwischen expressiver Nähe, lyrischer Intimität und der bei Martin wie Rilke erforderlichen objektivierenden Distanzwahrung. Fabio Luisi und seinen Zürcher Philharmoniker gelingt das auf demselben überragenden Niveau. Für mich erlebt man hier die Referenzaufnahme dieses eigentümlichen, in seiner spröden, zurückhaltenden Schönheit im 20 Jahrhundert einzigartigen Werkes.

Frank Martin: "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke"

Okka von der Damerau (Mezzosopran)
Philharmonia Zürich
Leitung: Fabio Luisi

Label: Philharmonia Records

Sendung: "Leporello" am 27. November 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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