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CD - Carlo Gesualdo Madrigale, Buch VI

Vor über 400 Jahren wurde diese Musik geschrieben. Bis heute kann sie süchtig machen: Die Musik von Gesualdo. Sie ist extrem eigen, virtuos und ambivalent. Immer wieder wird in den letzten Jahrzehnten kontrovers über Don Carlo Gesualdo diskutiert, den Fürsten von Venosa. Zunächst gilt Gesualdo als adliger Dilettant seiner Zeit, der sich getrost über Regeln von Harmonie und Kontrapunkt hinwegsetzen konnte.

Bildquelle: PHI

CD-Tipp 25.11.2016

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Und dann ist da noch die Kriminalgeschichte, die wiederholt mit dem unruhigen Charakter seiner Musik zusammengebracht wird und Gesualdos Schaffen als dasjenige eines Psychopathen abgewertet hat: Die auslösende Eifersuchtstragödie ereignet sich im Jahr 1590 als der 24-Jährige seine Ehefrau mit ihrem Liebhaber erwischt und sie daraufhin grausam ermordet. Allerdings hatte er nach lokalem Brauch nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, auf diese Weise seine Ehre zu retten. Dieser Krimi um einen Mörder und regierenden Fürsten wird das Publikum und die Rezeption seiner Musik wohl nie loslassen. Schriftsteller und Komponisten - von Igor Strawinsky bis Salvatore Sciarrino - haben den Fall neu aufgerollt und abgeklopft.

Gestochen scharf und ganz natürlich

Auch wenn die Madrigalbücher und geistlichen Werke von Gesualdo in der Szene der Alten Musik längst zu den Klassikern zählen, sind sie in der Konzertpraxis nach wie vor wenig präsent. Vor gut drei Jahren haben Philippe Herreweghe und sein Collegium Vocale Gent mit der Aufnahme von Gesualdos Karfreitagsresponsorien aufmerksam gemacht. Nun liegt ein neues Album mit weltlichem Repertoire vor: die 23 Madrigale des Sechsten Madrigalbuchs. Gesualdo verwendet hier fast ausschließlich anonyme Texte. Ein einziges Thema dominiert: die bitter-süße Liebe, die nur im Tod erreichbar ist. Die musikalische Ausdruckskraft dieses Widerspruchs ist herrlich aufregend, traurig und lebendig zugleich. Gestochen scharf und dabei ganz natürlich singt das Collegium Vocale Gent unter Herreweghes Leitung. Die Stimmen mischen sich gut und deuten den Text verständlich und sensibel aus. Polyphone Schichtungen und chromatische Experimente sind nachhörbar und transparent. So unterstreicht diese Aufnahme mit Referenzcharakter: eine von vermutlich vielen vergleichbaren Kriminalgeschichten der Renaissance-Zeit wäre nicht mehr präsent, wenn der Täter nicht diese wunderbare und einzigartige Musik hinterlassen hätte. 

Carlo Gesualdo di Venosa - O dolce mio tesoro

Madrigali a cinque voci Libro VI

Collegium Vocale Gent
Leitung: Philippe Herreweghe

Label: PHI

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