Jeder Drehbuschschreiber der Welt würde sich verbiegen für die Inspiration zu diesem Lebenslauf – und würde dann vermutlich doch hadern, ob das nicht alles vielleicht zu dick aufgetragen wäre: Der amerikanische Komponist Gordon Sherwood lebte von 1929 bis 2013 und verbrachte einen Großteil davon als Bettler - sukzessive auf fast allen Kontinenten.
Bildquelle: Sonus Eterna
Der CD-Tipp zum Anhören
Klassisch ausgebildet und am Beginn sogar von den New Yorker Philharmonikern aufgeführt, kehrte er dem Musikbetrieb schnell den Rücken zu, lebte in Kairo, Beirut und Nairobi, sammelte auf langen Reisen Geld und komponierte ohne auch nur von irgendjemand wahrgenommen zu werden. Mitte der 1990er Jahre drehte der NDR die Dokumentation "Der Bettler von Paris", was Sherwood ein bisschen Aufmerksamkeit bescherte. Anfang der 2000er Jahre setzte sich Werner Andreas Albert mit dem BLJO für die erste CD-Veröffentlichung ein. Aber das war es auch schon – im Repertoire oder gar Konzertalltag angekommen ist Sherwood nie. Jetzt geht die Pianistin Masha Dimitrieva die Gesamtaufnahme seiner Klavierwerke an.
Zugegeben, eine gewisse Skepsis überwiegt durchaus beim erstmaligen Hören. Verschrobener Eremit reist um die Welt, nimmt mal eine Prise spanisches, mal orientalisches Lokalkolorit und verschmilzt es zu einem Stilmix zwischen Bach, frühem Skrjabin, Satie und Jazz. Könnte anstrengend werden
Dass es letztlich nicht so kommt, hat mehrere Gründe. Da ist zum Einen der Facettenreichtum der kleinen, selten über drei Minuten dauernden Stücke. Staunend liest man im Booklet über diesen Überlebenskünstler und taucht kurz ein in den jeweiligen Abschnitt seiner befremdlichen Biografie. Da ist zum Anderen die hochgradig authentische Handschrift, die eben doch nie kopieren will, sondern immer nur abbilden, und zwar ganz im ureigentlichen Sinn: Freude, Ängste, das Innenleben des Künstlers eben – manchmal fast schon kindlich naiv, manchmal stürmisch-bejahend und immer eines: unverkrampft.
Das hat was Ehrliches und Erfrischendes, wie man es in der Musik von so manchen zeitgenössischen Komponisten vermisst. Die Pianistin Masha Dimitrieva ist genau die Richtige, um Sherwood angemessen wiederzubeleben. Sie kannte ihn persönlich und inspirierte ihn auch zu seinem Klavierkonzert, das sie bereits für das Label cpo einspielte. Für die vorliegenden Miniaturen findet Dimitrieva dabei die richtige Balance: große Spielfreude, echtes Nachempfinden ohne ins Pathetische zu kippen und Bereitschaft für Stilüberschreitungen. Diese Bereitschaft sollte auch der Hörer mitbringen, dann vergeht die Stunde wie im Flug – und wenn nicht, dann ist die Stunde zumindest eine ungewöhnliche und im besten Fall interessante Reise mit einem wirklich schrägen Typen.
Dance Suite op. 67
Klaviersonate op. 77 "Sonata for Arina"
Klaviersonate op. 78 "Sonata quasi una fantasia"
Sonatinen op. 27
Boogie Canonicus op. 50
Masha Dimitrieva (Klavier)
Label: Sonus Eterna
Sendung: "Leporello" am 2. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK