Ein zwölfstimmiger g-Moll-Akkord gleich am Anfang, ein jagendes Hauptthema, Doppelgriffe, die immer wieder zu wilden Klangballungen führen: Wer von Edvard Grieg nur den freundlichen "Hochzeitstag auf Troldhaugen" oder die "Peer-Gynt"-Suiten kennt, den reißt vor allem der Kopfsatz seines g-Moll-Streichquartetts jäh aus allen gemütlich folkloristischen Blütenträumen.
Bildquelle: Dabringhaus und Grimm
Der CD-Tipp zum Anhören
Das thematische Motto, das das Werk durchzieht, entnahm Grieg seinem Spielmannslied auf einen Text von Henrik Ibsen. "Nach ihr nur stand mein Verlangen, jede sommerhelle Nacht", heißt es darin. Dieses Verlangen muss heftig gewesen zu sein. Harmonisch kühner, expressiver und kompromissloser hat Grieg jedenfalls kein zweites Mal komponiert.
Zerklüftet wie ein norwegischer Fjord wirkt das 1877 entstandene Werk, jähe Ausbrüche laden es mit einer für Grieg ungewohnten dramatischen Wucht auf. Wenn er schrieb, dieses Quartett sei ein "Stück Lebensgeschichte", er habe sein "Bestes, Innerstes hineingelegt", dann hat das durchaus etwas Verstörendes. Und was das Ausreizen der klanglichen Möglichkeiten des Streichquartetts, die den Quartettsatz fast sprengende Weitung des Kammermusikalischen ins Orchestrale angeht, dürfte kein Zeitgenosse ähnlich weit gegangen sein, Johannes Brahms eingeschlossen.
Auch wenn die anderen Sätze nicht ganz so extrem sind, die Konflikte des ersten Satzes durchziehen das ganze Werk. Im zweiten, langsamen Satz wird der lyrische Romanzenton immer wieder von jäh hochschießenden Fortissimo-Figuren unterbrochen. Und als Finale schrieb Grieg ein jagendes "Presto al saltarello", dessen scheinbar versöhnlicher Apotheose man nicht so recht trauen mag.
Das polnische Meccore String Quartet spielt diese ungewöhnliche Musik mit insistierendem Nachdruck und aller gebotenen Dramatik. Vielleicht ist die mittlerweile ein Vierteljahrhundert alte, immer noch maßstäbliche Aufnahme des jungen Petersen Quartetts schneidender, reizt die Abgründe des Werkes kompromissloser aus. Doch auch das vor zehn Jahren gegründete Meccore String Quartett bleibt dieser extremen Musik in keinem Moment etwas schuldig, musiziert mit perfekter Intonation und einem Höchstmaß an expressivem Drive. Und die beiden Sätze eines leider unvollendet gebliebenen F-Dur-Quartetts zeigen, wozu Grieg in der Kammermusik noch fähig gewesen wäre. Ein großes Plädoyer für einen Komponisten, der ungeachtet seiner vielen lyrischen Stücke eben keineswegs nur ein Meister der kleinen Form war.
Streichquartett Nr. 1 g-Moll, op. 27
Streichquartett Nr. 2 F-Dur, EG 117
Fuge für Streichquartett f-Moll, EG 114
Meccore String Quartet
Label: Dabringhaus und Grimm
Sendung: "Leporello" am 11. Mai 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK