Und sie schwillt weiter an - die üppige Diskografie des italienischen Geigers und Dirigenten Fabio Biondi! Zu den fleißigsten Barock-Befürwortern überhaupt gehört er - immer wieder an der Seite des von ihm gegründeten, historisch informierten Ensembles Europa Galante. So mancher Opernfreund wird dabei zuerst an Vivaldi-Ausgrabungen denken wie "Bajazet" oder Ercole sul Termodonte". Doch Biondi hat sich auch schon in der Romantik getummelt: bei Vincenzo Bellinis "Capuleti e Montecchi"! Diesmal ist eine äußerst selten zu hörende Oper des jungen Händel an der Reihe: "Lucio Cornelio Silla".
Bildquelle: Glossa
Der CD-Tipp zum Anhören
Vom frühen Händel kennen Opernfreunde "Agrippina", auch "Rinaldo", daraus zumal die berühmte Arie "Lascia ch’io pianga"! Eine Weile später, anno 1713, brachte der 28-jährige Komponist eine Oper heraus, die bis heute kaum einer gehört hat: "Lucio Cornelio Silla"! Plutarch lieferte die Vorlage für das Libretto von Giacomo Rossi, es dreht sich um einen grausamen Diktator, der von 82 bis 79 v.Chr. im alten Rom regierte.
Die Opernbesucher im 18.Jahrhundert hätten das Theater auseinandergenommen, hätten sie kein Happy End geboten bekommen: Das "Lieto fine", das glückliche Ende, musste einfach sein! Obwohl die Leute sich für die Bühnenhandlung kaum interessierten, eigentlich sogar nur für die halsbrecherischen Koloraturen und Extremtöne in den Arien. Auch "Lucio Cornelio Silla" schließt versöhnlich, denn Händels Tyrann, der sich Frauen anderer Männer nach alter Gewohnheit gewaltsam nimmt, beendet eines Tages seine Willkürherrschaft abrupt!
Eine Maxime, die selbstverständlich sein sollte - gerade unbekannte Opern so zu erzählen, wie sie sind, ein postmodernes Publikum aber denken zu lassen: "So was könnte heute auch noch passieren!" Was für Regisseure gilt, gilt ganz ähnlich auch für Dirigenten. Am Pult des Ensembles Europa Galante kümmert sich Fabio Biondi darum, Streicherfuror zu entfachen, aus den Theatersituationen Funken des Ausdrucks zu schlagen. Auf Sängerseite regieren Präzision und Prägnanz im Bemühen um die Grammatik der Gefühle: egal ob bei Sonia Prina oder Martina Belli, ob bei Vivica Genaux oder Roberta Invernizzi. Außerdem ist noch jemand dabei, der besonders durch Aufnahmen mit René Jacobs bekannt wurde: die südkoreanische Sopranistin Sunhae Im.
Es gibt Momente in dieser Musik, da scheint es, als änderte die Luft ihre Beschaffenheit, als schwebten die Staubteilchen erhabener zu Boden. Bisweilen kann ein Händel'scher Opernabend ja fast so lang sein (oder zumindest wirken) wie Wagners "Parsifal": Diesmal sind es weniger als zwei Stunden bis zur Zielgeraden. Das lässt auf eine respektlos zusammengestrichene Fassung des Stücks schließen - aber nein, der Komponist wollte hier nur rigoros vorgehen, die Konflikte des "Lucio Cornelio Silla" ohne Umschweife in einem Lieto fine auflösen, durch das sich alles zum Guten wendet. So schnell wie irgend möglich.
Sonia Prina, Alt - Silla
Martina Belli, Mezzosopran - Claudio
Sunhae Im, Sopran - Metella
Vivica Genaux, Mezzosopran - Lepido
Roberta Invernizzi, Sopran - Flavia
Francesca Lombardi Mazzulli, Sopran - Celia
Luca Tittoto, Bass - Il Dio
Europa Galante
Leitung: Fabio Biondi
Label: Glossa
Sendung: "Leporello" am 25. Oktober 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK