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Album der Woche – Händels "Serse" Franco Fagioli als König, der die Bäume liebte

Anfang 2018 war es noch ein "Best-of"-Händel-Album, das Countertenor Franco Fagioli vorgelegt hat. Ausgewählte Arien aus verschiedenen Opern. Stücke, zu denen der Argentinier einen unmittelbaren Zugang hat, mit denen er emotional und gesangstechnisch etwas anzufangen weiß. "Ombra mai fù", das berühmte Arioso aus "Serse" war auch mit dabei. Am Ende desselben Jahres dann das Schwester-Projekt, ebenfalls bei der Deutschen Grammophon: die "Serse"-Gesamtaufnahme, mit Fagioli in der Titelpartie, und wieder mit der handverlesenen Barocktruppe Il pomo d'oro als instrumentaler Unterstützung.

Bildquelle: Deutsche Grammophon

Die Besprechung zum Anhören

Über zehn ausgewachsene Arien und Ensembles sind es für den Titelhelden König Xerxes in Händels kompletter Oper. Und weil dieser Xerxes ein wilder Vogel, ein aufbrausender Tyrann und trotzdem empfindsam liebender Mensch ist (wenn es auch der Schatten eines Baumes ist, dem er die ergreifendsten Gefühle entgegenbringt), wird dem Interpreten alles abverlangt. Die emotionale Bandbreite reicht von sanft bis zornig, die gesangliche von aberwitziger Koloratur bis zum auf endlosem Atem dahinströmenden Largo. Und Franco Fagioli beherrscht seinen Xerxes in allen Lebenslagen, überzeugt beim Zornesausbruch "Crude furie" ebenso wie beim sehnsuchtsvollen Schmachten in "Per rendermi beato".

Kurz und bündig

Dieses Album wird lieben, wer  …
… das samtige Timbre von Fagiolis Countertenor mag.

Dieses Album muss man haben, weil  …
… Händels "Serse" die ganze Welt der Oper ist: Liebe, Zorn, Sanftmut, Raserei. Ein heilloses Durcheinander, emotional, aber unglaublich mitreißend.

Dieses Album führt bei Überdosis dazu, dass
 …
… man der Oper verfällt. Händels "Serse" im speziellen, und der Kunstform an sich – ein Abbild des Lebens, zeitlos spannend.

Heilloses Chaos in der Handlung, musikalisch aus einem Guss

Damit ist es aber bei einer Gesamtaufnahme nicht getan. Es braucht dazu ein stimmlich ausgewogenes Ensemble um die Titelfigur herum. In Händels "Serse" ist das ein beachtliches, die ohnehin schon krude Handlung immer weiter verwirrendes Sammelsurium: betrunkene Diener, Frauen in Männerkleidern, die meisten davon mit A als Anfangsbuchstaben: Arsamene, Ariodate, Amastre, Atalanta. Fast alle verlieben sich, meistens in die falschen. Kurzum: mehrstündiges, heilloses Chaos.

Was sich inhaltlich überschlägt, ist musikalisch aus einem Guss. Neben Fagioli singen in der dieser homogenen Gesamtaufnahme etablierte Barock-Größen wie die amerikanische Mezzosopranistin Vivica Genaux und die lettische Sopranistin Inga Kalna an der Seite von Alte-Musik-Newcomern wie der italienischen Sopranistin Francesca Aspromonte.

Jede Arie ein Genuss

Alle sind stimmlich auf der Höhe, bestens mit Händels Stil sowie der barocken Musizierpraxis vertraut und ziehen interpretatorisch an einem Strang. Jede Arie wird so zum eigenen, kurzen Genuss. Ist sie vorbei, kann man sich auf die nächste freuen – egal, ob voller Kontemplation und Muße oder voller Zorn und Rage. Dirigent Maxim Emelyanychev hält sein Solisten-Ensemble zusammen und die Fäden in der Hand. Aller Ehren wert, bei Händels Oper "Serse", die künstlerisch zu seinen beliebtesten, inhaltlich aber garantiert zu seinen vertracktesten und absurdesten gehört.

Georg Friedrich Händel: "Serse"

Franco Fagioli, Countertenor – Serse
Vivica Genaux, Mezzosopran – Arsamene
Inga Kalna, Sopran – Romolda
und andere

Il pomo d'oro
Leitung: Maxim Emelyanychev

Label: Deutsche Grammophon

Sendung: "Leporello" am 18. Dezember 2019, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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