Wer auf seiner ersten CD Lieder von Arnold Schönberg und Alban Berg singt, der hat entweder mit Glamour nicht viel am Hut oder mag Gratwanderungen. Oder er ist sich schon in jungen Jahren sehr im Klaren über seine Stimme und die eigene Sängerpersönlichkeit. Oder alles drei.
Bildquelle: Belvedere
Der CD-Tipp zum Anhören
Die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller ist sicher nicht darauf aus, um jeden Preis der neueste Instagram- und Twitter-Star zu werden. Fotos auf der Webseite zeigen eher eine junge Frau, die selbst noch staunt über ihre Blitzkarriere an der MET und der Scala. Und die dabei spielerisch bleibt, sie selbst. Man sieht sie als Donna Anna in der Garderobe in Mailand, mit Orangensaft, beim Schminken. Und davor mit Alltagsklamotten und Brille im Taxi auf dem Weg zum Hotel. Hanna Elisabeth Müller zwischen den Welten, der normalen und der Premier League der internationalen Oper, zu der sie spätestens seit 2014 gehört, als sie bei den Osterfestspielen in Salzburg mit der Zdenka in Richard Strauss' "Arabella" alle für sich einnahm.
Musik von Richard Strauss gehört schon lange zu ihrem Repertoire, ebenso wie der Liedgesang sie länger und intensiver begleitet und prägt als die Oper. Deswegen wollte sich Hanna-Elisabeth Müller auf ihrem Debüt-Album auch als Liedsängerin präsentieren, zusammen mit ihrer vertrauten Begleiterin Juliane Ruf. Die Quelle ihres Singens sei das Lied, so die Sopranistin, hier müsse sie die "Komfortzone verlassen", unendlich viel mehr am Detail arbeiten. Und lerne drum so viel, über die Stimme und deren Möglichkeiten, auch über das Repertoire.
Lieder von Strauss, Berg und Schönberg also sind zu hören auf Müllers erster Solo-CD, und das Programm beginnt gleich mit voller expressionistischer Verve. Der Zyklus "Mädchenblumen" steht am Beginn; laut Strauss seien die Gedichte Auslöser für "innerlich angesammelte Musik". Und genau die strömt - makellos, frei, und kräftig - hinaus, auf Hanna-Elisabeth Müllers frischem Sopran, nicht klein die Stimme und trotzdem absolut überzeugend dosiert.
Auch den Liedern op. 2 von Schönberg und den Sieben frühen Liedern von Alban Berg begegnet Hanna-Elisabeth Müller mit einer begeisternden interpretatorischen Klarsicht: die Emotionen fließen, die Stimme kündet davon, ob dezent, verhalten, fast schüchtern, oder jugendlich, stürmisch, überschwänglich. Immer verständlich: der Text. Mitlesen im Booklet ein Kann, kein Muss bei dieser jungen Sopranistin.
Was auch hätte sperrig und spröde werden können, fängt bei Hanna-Elisabeth Müller schon ab dem ersten Ton an zu leben und zu schwingen. Ihre Debüt-CD ist eine Gratwanderung: ja, eine gelungene. Von einer Sängerin, die weiß, was sie will und wo sie steht. Und der auch der Glamour nicht schaden wird. Glückwunsch!
Lieder von
Richard Strauss,
Alban Berg
und
Arnold Schönberg
Hanna-Elisabeth Müller (Sopran)
Juliane Ruf (Klavier)
Label: Belvedere
Sendungsthema aus "Leporello" am 30. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK