Wer die Musik von Bach, Mozart oder Beethoven zerstreut beim Bügeln hört, dem möge vor Schreck das Bügeleisen in der Hose festbrennen. Nikolaus Harnoncourt sagte solche Sätze mit funkelnden Augen und unnachahmlichem Grimm: "Diese Werke haben eine Botschaft. Die sagen uns etwas. Und sie sind überhaupt nicht dazu da, um im Lift gespielt zu werden oder zwischendurch in irgendeinem Restaurant."
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CD Tipp zum Anhören
So kennt man ihn - Harnoncourt, der von heiligem Zorn beseelte Originalklang-Rebell, der die glatt polierten, kulinarisch verharmlosten Klassiker wieder aufregend lebendig gemacht hat. Aus dem einstigen Abonnentenschreck ist schon lang eine Art ehrfürchtig bestauntes Orakel geworden, das von großen Teilen der Klassikgemeinde mittlerweile fast kultisch verehrt wird. Verdient hat er es allemal.
Im Mai 2015 fanden die Konzerte mit Beethovens Vierter und Fünfter statt - kurz vor Harnoncourts Abschied von der Bühne. Mehr als 20 Jahre waren seit Harnoncourts letzter Einspielung der Beethoven-Symphonien vergangen. Dass er sie ein zweites Mal aufnahm, diesmal mit dem von ihm gegründeten, auf Originalinstrumenten der Beethoven-Zeit spielenden Concentus Musicus, lässt darauf schließen, dass er noch einmal zu grundlegend neuen Einsichten gefunden hat.
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Einen Tick langsamer als in der ersten Einspielung und deutlich langsamer als in Beethovens Metronom-Vorschriften nimmt Harnoncourt die Tempi. Aber das ist nicht der entscheidende Unterschied zur früheren Einspielung. Der steckt in den Details: Noch unwirscher, noch heftiger und drastischer lässt Harnoncourt seine Leute spielen. Es ist ein ziemlich struppiger Beethoven. Einer, der den Hörer am Schlafittchen packt und, in den schnellen Sätzen, ordentlich durchschüttelt. Jeder Akzent ein Schlag mit der Faust auf den Tisch. Im pianissimo dagegen bewegt sich die Musik am Rand der Hörbarkeit. Von Schönklang keine Rede - dass die alten Instrumente bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gefordert werden, gehört für Harnoncourt zum Wesen dieser radikalen Musik.
Das ist durchaus faszinierend. Jeder Takt wird befragt. Und da Beethoven in fast jedem Unerhörtes schreibt, wird von Harnoncourt auch fast jeder als Sonderfall gestaltet. Was darunter leidet, ist die Gesamtwirkung, die mitreißende Dynamik der Großform. Wer pausenlos insistiert, hat wenig Steigerungsmöglichkeiten. Und wer nach jedem Satz ein Ausrufezeichen setzt, läuft Gefahr, seinen Gesprächspartner zu ermüden.
Deshalb ruft ausgerechnet diese vom Label als Sensation angepriesene CD in Erinnerung, dass sich Harnoncourt als Interpret nicht als Verkünder ewiger Wahrheiten versteht, sondern dass er Fragen stellt, lohende, brennend wichtige. Dass er, auch wenn er rabiat argumentiert, immer auf Widerspruch hofft, nicht auf kritiklose Bestätigung. Und so ist seine letzte Beethovenplatte alles andere als perfekt. Aber unbedingt hörenswert. Zum Bügeln gibt es genug andere Musik.
Ludwig van Beethoven:
Symphonie 4 & 5
Concentus Musicus Wien
Leitung: Nikolaus Harnoncourt
Label: Sony