Der Pianist Marc-André Hamelin ist ein Phänomen. Gut 50 CDs hat der Kanadier produziert, und neben bekannten Namen wie Liszt, Schumann, Brahms oder Chopin stößt man in dieser fast beängstigend vielseitigen Diskografie vor allem auf eine Menge Komponisten, von denen man vielleicht einmal gehört hat, jedoch keine Note kannte.
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Wer wusste schon um die fantastischen Jazz-Kompositionen von Nikolai Kapustin, wer um den Russen Georgy Catoire oder den Amerikaner Leo Ornstein? Ihre oft fantastischen Klavierwerke hat Marc-André Hamelin wieder entdeckt und vieles andere mehr. Das hat ihm ein wenig den Ruf eingetragen, der Mann fürs Abseitige, Ausgefallene und Entlegene zu sein. Doch dieser Eindruck trügt. Zwar ist Hamelin tatsächlich ein unfassbar virtuoser Alleskönner, der sich seine eigenen Etüden auch deshalb schreibt, weil ihm alles andere nicht schwer genug ist. Dem so genannten Standardrepertoire geht er deshalb aber keineswegs aus dem Weg, wie unter anderem seine neueste Veröffentlichung mit Klavierkonzerten von Joseph Haydn belegt.
Wie viele Konzerte für die unterschiedlichsten Instrumente Haydn geschrieben hat, ist bis heute nicht restlos klar, zum einen, weil manches verloren ging, zum anderen, weil einige geschäftstüchtige Verleger Werke unter seinem Namen veröffentlichten, die in Wahrheit von ganz anderen stammten. Haydn war seinerzeit so berühmt, dass allein sein Name den Absatz der Noten vervielfachte. Das Klavierkonzert spielte für ihn ohnehin längst nicht die Rolle, die es im Schaffen von Mozart einnahm. Die Symphonie scheint Haydn als für ihn unerschöpfliches Experimentierfeld einfach mehr interessiert zu haben.
Schlecht, langweilig oder nebensächlich sind seine rund zehn überlieferten und sicher von ihm stammenden Klavierkonzerte deshalb keineswegs, schon gar nicht, wenn man sie so spielt wie Hamelin und das ihn begleitende kanadische Originalklangensemble Les Violons du Roy unter Bernard Labadie. Die schnellen Ecksätze kommen so spritzig, elegant und virtuos, die langsamen Mittelsätze so beseelt und klangschön daher, dass man nicht eine Sekunde lang das Gefühl hat, Haydn habe das Genre Konzert weniger ernst genommen als die Symphonie. Schöner und geistreicher lässt sich diese Musik wohl kaum spielen.
Vor allem Haydns wahrscheinlich letztes und sicher bedeutendstes Klavierkonzert in D-Dur klingt bei den Kanadiern hinreißend. Den langsamen Satz spielt der sonst so virtuose Marc-André Hamelin wunderbar poetisch, wie es ihm überhaupt gelingt, die ja eigentlich für das Cembalo oder Pianoforte komponierten Werke auf dem modernen Steinway schlank, aber äußerst klangsinnlich zu musizieren. Und im Finale entfacht er mit den Violons du Roy ein wahres Feuerwerk an Brillanz, Witz und virtuoser Zuspitzung. Ein echtes Vergnügen.
Konzerte für Klavier und Orchester Nr. 3, 4 und 11
Marc-André Hamelin, Klavier
Les Violons du Roy
Leitung: Bernard Labadie
Label: Hyperion