Der deutsch-französische Geiger Henri Marteau war Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ein international gefeierter Star. Doch er war auch ein interessanter Komponist. Jetzt ist sein wohl schönstes Stück Kammermusik neu eingespielt worden: sein Klarinettenquintett. Marteaus Glanzstück dieser Gattung wünscht man einen festen Platz im Konzertrepertoire.
Bildquelle: © Solo Musica
CD-Tipp 30.10.2018
Henri Marteau: Kammermusik
Henri Marteau war einer der berühmtesten Violinvirtuosen seiner Zeit. Bereits als Zehnjähriger debütierte er in seiner Heimatstadt Reims, weil er für seinen erkrankten Geigenlehrer Hubert Léonard einsprang. Er riss die rund 2.500 Zuschauer vor Begeisterung von den Stühlen. Konzerttourneen in Europa und Amerika machten Marteau zu einem weltweit gefeierten Star. Mit 26 Jahren wurde er außerdem Professor für Geige am Genfer Konservatorium, später schließlich der Nachfolger des berühmten Joseph Joachim als Professor für Violine an der Musikhochschule in Berlin.
Als junger Geiger erhielt Henri Marteau nicht nur wertvolle Tipps von Johannes Brahms. Auch mit Max Reger, Charles Gounod, Peter Tschaikowsky und Antonín Dvořák verbanden ihn Künstlerfreundschaften. 1913 ließ Marteau sich von den Gagen nur eines Jahres eine stattliche Villa im oberfränkischen Lichtenberg bauen, wo er bis zu seinem Tod lebte und lehrte. Der Ruhm des weltberühmten Geigers ist längst verblasst. Doch der Bezirk Oberfranken erwarb die Villa samt Grundstück und machte aus dem Haus Marteau eine internationale Musikbegegnungsstätte, in der Meisterkurse, Konzerte und Wettbewerbe im Namen des einstigen Hausherrn abgehalten werden.
Schon als 20-Jähriger verstand sich Henri Marteau nicht nur als Geiger, sondern auch als Komponist. Immerhin 45 Opuszahlen umfasst sein kaum bekanntes Oeuvre, bestehend aus Liedern, Orchesterstücken und Kammermusik. In einer auf zehn CDs angelegten Werkausgabe ist gerade die dritte CD erschienen. Neben seinem 2. Streichquartett enthält es Marteaus vielleicht schönste Komposition: das Klarinettenquartett in c-moll. Wie sich Klarinette und Streicher gegenseitig umschmeicheln, mal begleitend zurücknehmen, mal die melodische Dominanz erringen, mal konträr zueinander stehen, ist absolut hörenswert. Dazu kommt, dass Henri Marteau, der einen französischen Vater und eine deutsche Mutter hatte, das Erbe beider Kulturen in diesem Werk vereint. Von impressionistischer Harmonik im Scherzo bis zum Fugato nach dem Vorbild Bachs im Finale. Gefühlvoll und klangschön präsentiert vom österreichischen Klarinettisten Andreas Schablas und dem Praetorius Quartett, allesamt Mitglieder des Bayerischen Staatsorchesters.
Gegen das Juwel des Klarinettenquintetts fällt das drei Jahre früher entstandene Streichquartett in D-Dur, das ebenfalls aus Marteaus Genfer Zeit stammt, naturgemäß ab. Es ist melodisch längst nicht so einfallsreich und wirkt ein wenig spröde und zerrissen. Dabei fordert es hohe technische Fertigkeiten, die das Marteau Quartett hier einwandfrei meistert. Nur will der Funke nicht wirklich überspringen, was eindeutig an der Komposition und nicht an den Interpreten liegt. Doch auch für das Streichquartett gilt, dass Henri Marteau keineswegs ein Epigone, sondern ein originärer Geist war, der den schwierigen Spagat zwischen Spätromantik und Moderne meistert. Dieser Komponist hat es verdient, gehört und gespielt zu werden.
Henri Marteau:
Klarinettenquintett c-Moll, op. 13
Streichquartett Nr. 2 D-Dur, op. 9
Andreas Schablas (Klarinette)
Praetorius Quartett
Marteau Quartett
Label: Solo Musica
Sendung: "Leporello" am 30. Oktober 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)