Kann das wirklich sein? Gibt es noch unbekannte Kammermusikwerke von Johannes Brahms? Nein, natürlich nicht. Und obwohl auf dieser CD deutlich der Komponistenname Heinrich von Herzogenberg steht, muss man beim Anhören dieser beiden Klaviertrios doch immer wieder an Brahms denken. Nicht weil sie epigonal wären, sondern weil sie von einer ganz eigenen Meisterschaft sind, die an die von Brahms beinahe heranreicht.
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Der CD-Tipp zum Anhören
In Herzogenbergs Leben gibt es mehr als genug Bezüge zu Brahms. Schon am Wiener Konservatorium lernte der zehn Jahre jüngere Herzogenberg über seinen Lehrer den aufstrebenden Brahms kennen. Nach Herzogenbergs Heirat mit der hochbegabten Pianistin Elisabeth von Stockhausen 1868 vertiefte sich der Kontakt. Denn Brahms hatte sie kurz als Klavierschülerin unterrichtet, woraus eine innige Freundschaft erwuchs. Brahms suchte den Rat Elisabeths, widmete ihr seine beiden berühmten Rhapsodien op. 79 und verwarf Kompositionen, die ihr missfielen. Zwischen Herzogenberg und Brahms entwickelte sich ein reger Briefwechsel, man tauschte sich auch zu Kompositionsfragen aus und besuchte sich gegenseitig. Selbst dann noch, als die Herzogenbergs längst in Leipzig lebten.
Und Johannes Brahms bot Heinrich von Herzogenbergs Orientierung in einer tiefen Schaffenskrise. Der junge Herzogenberg hatte Richard Wagner nachgeeifert, bis er sich in einer kompositorischen Sackgasse wiederfand. Drei Jahre komponierte er überhaupt nicht mehr, wandte sich dann 1876 der Kammermusik zu und orientierte sich dabei an den Arbeiten von Brahms. Der nahm Herzogenbergs Werke eher kühl auf. Vielleicht, weil Brahms spürte, dass Herzogenberg ihn nicht nachahmte, sondern ihm gewissermaßen einen Spiegel vorhielt.
Die beiden Klaviertrios op. 24 und 36 sind von einer solchen künstlerischen Qualität, dass es erstaunt, wieso Herzogenberg von der Nachwelt so vergessen werden konnte. Formstreng, leidenschaftlich, mal schroff, mal kantabel, immer emphatisch und inspiriert. Und genauso hingebungsvoll werden diese beiden technisch anspruchsvollen Stücke vom Wiener Klaviertrio interpretiert. Je nach Gestus mal feurig, mal besonnen, immer die Aussage des Ganzen beachtend. Hinreißend schön. Und von einer ausgewogenen Klangästhetik, die man sich bei Kammermusikaufnahmen viel häufiger wünscht: nah dran an den Instrumenten, aber nicht so intim nah, dass man das Atmen der Interpreten hört. Dies ist eine Referenzaufnahme, die dem wahrhaft großen Kleinmeister Herzogenberg wirklich gerecht wird.
Klaviertrio Nr. 1 c-Moll, op. 24
Klaviertrio Nr. 2 d-Moll, op. 36
Wiener Klaviertrio
Label: MDG