BR-KLASSIK

Im letzten Dezember hat sich das Hilliard Ensemble mit einer Tournee nach 40 erfolgreichen Jahren von der Konzertbühne und seinem Publikum verabschiedet. Jetzt ist noch eine Aufnahme mit den Hilliards von 2010 erschienen: die Machaut-Transkriptionen von Heinz Holliger für vier Stimmen und drei Bratschen.

Ganz selbstverständlich werden hier verschiedene Ausdruckswelten ineinander und übereinander gelagert: Originalkompositionen aus dem Mittelalter von Guillaume de Machaut und Bearbeitungen dieser Musik von Heinz Holliger. Über zehn Jahre arbeitete der Schweizer Komponist, Oboist und Dirigent ab 2001 an seinen umfangreichen Machaut-Transkriptionen. Der Zyklus für vier Singstimmen und drei Bratschen zeigt eine unglaublich sensible und äußerst kompetente Beschäftigung mit der historischen Vorlage, mit mehrstimmigen Techniken und versteckten Botschaften einer vergangenen Kultur- und Menschheitsepoche.

Raffiniert und klangsinnlich

Holliger fügt in einigen Stücken zum originalen Machaut-Text nur wenig hinzu, etwa schwirrende Streicherklänge oder Zupfgeräusche. So lotet er in den ersten beiden Bratschentrios zunächst sehr zurückhaltend und mit fast improvisatorischem Gestus Grenzen der Bearbeitung aus, um dann an anderer Stelle kleinteilige Figuren neu dazu zu setzen und Machauts Musik nur mehr entfernt durchschimmern zu lassen. Frankoflämische, vokale Mehrstimmigkeit und Gegenwartsmusik des 21. Jahrhunderts verschmelzen so auf raffinierte und klangsinnliche Art und Weise, ohne dass dabei der geistige Eigensinn beider Komponisten übertüncht wird. Vielmehr: Nähe und Trennlinien von Neu-Komposition und Noch-Bearbeitung werden geschärft und musikalisch offengelegt.

Konzentrierte Ruhe

Ausgangspunkt auf der CD sind drei originale Vokalstücke von Guillaume de Machaut, klar und beseelt interpretiert vom Hilliard Ensemble. Zum Aufnahmezeitpunkt im Jahr 2010 befanden sich die vier Sänger auf dem Höhepunkt ihres Schaffens und begeistern durch konzentrierte Ruhe und transparent geführte Stimmen.  Die drei hervorragenden Instrumentalisten Geneviève Strosser, Jürg Dähler und Muriel Cantoreggi spielen frei schwingend und impulsiv und zeigen dennoch die komplexe Strenge der Machaut-Vorlage. Wenn schließlich Singstimmen und Bratschen zusammenkommen, ist dramaturgisch die Spitze erreicht.

Ausgeklügelte Dramaturgie

Alles in allem: Zu hören sind auf dieser CD Kompositionen aus dem Mittelalter von Guillaume de Machaut und die schöpferische Re-Lektüre durch Heinz Holliger vom Beginn des 21. Jahrhunderts: Alte und neue Musik, kongenial zusammengeführt durch hervorragende Musiker und eine feinsinnig ausgeklügelte Dramaturgie. Faszinierend!