Was sehen Sie, wenn Sie in den Spiegel schauen? Natürlich Ihr Spiegelbild! Aber wirklich nur das? Beileibe nein! Ein Spiegelbild transportiert weit mehr als nur das blanke Abbild seines Gegenübers. Es zeigt uns - ob wir wollen oder nicht - zugleich unsere Geschichte, unsere Herkunft, unsere Prägungen. Das Huelgas Ensembles unter seinem Leiter Paul van Nevel lässt Claudio Monteverdi auf seiner neuesten CD in einen eben solchen Spiegel schauen - und es scheint, dass der italienische Meister sich ganz bewusst für die Geschichte hinter seinem Abbild interessierte. Monteverdi wollte es wissen!
Bildquelle: deutsche harmonia mundi
CD-Tipp 12.12.2016Huelgas Ensemble
Der CD-Tipp zum Anhören
Claudio Monteverdis "Missa da capella" ist ein raffiniertes Meisterwerk, eines, das die Chronologie der Zeit auszuhebeln scheint. Besser bekannt ist sie als "Missa in illo tempore", und mit diesem Titel ist eigentlich alles gesagt: Es handelt sich um eine Messe im alten Stil, aus der Zeit vor Monteverdi. Eine Messe, zu der sich der Meister des Madrigals, der Innovator der Oper, von einer Motette von Nicolas Gombert hat anregen lassen. Mehr als das: Er hat sie "parodiert". Im allgemeinen Sprachgebrauch würde man heute von einem Arrangement, von Variationen sprechen. Nichts ungewöhnliches zur damaligen Zeit - ungewöhnlich jedoch die Meisterschaft, mit der Monteverdi aus zehn Motiven dieser Motette eine Kathedrale der Kontrapunktik erschafft.
Monteverdi verdichtet die damals schon überkommene Kompositionsweise des Kontrapunkts in einer Weise, die auch heute noch - über 400 Jahre später - atemberaubend erscheint. Er dreht und streckt, und verziert, stellt die Motive auf den Kopf, und als ob das noch nicht genug wäre, gebiert jede neue Variation auch gleich immer noch ein neues Motiv. Ein Werk wie ein Kaleidoskop, grenzenlos in den kombinatorischen und farblichen Möglichkeiten und damit alles andere als rückwärtsgewandt.
Dass aus einer solchen Kathedrale des Kontrapunkts auch eine himmelstürmende Kathedrale des Klangs wird - dafür steht das inzwischen schon legendär zu nennende Huelgas Ensemble unter seinem Leiter Paul van Nevel. Auf der Basis einer inzwischen 45-jährigen Erfahrung Paul van Nevels in der polyphonen Musik des Mittelalters und der Renaissance fungieren die heutigen 12 Sängerinnen und Sänger als stimmliche Architekten, die das musikalische Sakralgebäude in all seinen Verstrebungen zu einem überirdisch-überwältigenden Klanggewölbe verdichten. Und das nicht nur in der Monteverdi-Messe.
Der Titel der CD "The Mirror of Claudio Monteverdi" ist Programm. So wie Monteverdi den Kontrapunkt aus der Vergangenheit in die damalige Moderne führte, haben Madrigalisten der Generation vor ihm auch die Madrigalkunst des mittleren 16. Jahrhunderts weit in die nächste Generation vorangetrieben. Sie sind es, die Monteverdi sieht, wenn er in den Spiegel schaut.
Ob Luca Marenzio, Nicola Vicentino, Cesare Tudino oder Giaches de Wert: es sind alles stürmische Geister, Vorbilder schon ganz im Geiste Claudio Monteverdis. Ein programmatischer, meisterlicher Schachzug von Paul van Nevel: die Kombination der geistlichen Messe mit weltlichen Madrigalen! Hier greift er klug auf eine beliebte Praxis von Monteverdi zurück, der wie kein zweiter seiner Generation immer wieder Geistliches und Weltliches lustvoll miteinander vermischte. Was dabei herausgekommen ist, wissen wir: musikalisches Weltkulturerbe. Paul van Nevel und sein Huelgas Ensemble sind ebenfalls auf dem allerbesten Weg dorthin!
Claudio Monteverdi:
"Missa in illo tempore"
Nicola Vicentino:
"Laura che'l verde lauro"
Cesare Tudino:
"Amor, i'ho molti e molt’anni pianto"
Giaches de Wert:
"Mia benigna fortuna"
Luca Marenzio:
"Solo e penseo"
Huelgas Ensemble
Leitung: Paul van Nevel
Label: deutsche harmonia mundi
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