Er ist Komponist, Weltklasse-Klarinettist, Professor - und jetzt dirigiert er auch noch: Jörg Widmann ist ein umjubelter und trotzdem bodenständiger Klassik-Star. Auf seiner neuesten CD stellt sich der gebürtige Münchner am Pult des Irish Chamber Orchestra mit Werken von Mozart, Mendelssohn und ihm selber vor.
Bildquelle: Orfeo
CD-Tipp 30.03.2017
Der CD-Tipp zum Anhören
Es ist sein bisher strengstes Stück, findet der Komponist Jörg Widmann. Es ist ein fast 24-minütiger Satz für Sopran, Oboe und Streichorchester. Es ist: ein Versuch. „Versuch über die Fuge“ - so hat Jörg Widmann seine Komposition genannt, die sich auf dieser neuen CD nun zwischen Stücke von Mozart und Mendelssohn schmiegt. Was Widmanns Versuch ausmacht, sind die eng miteinander verwobenen motivischen Fragmente, thematische Phrasen oder auch nur eine Ahnung davon - Widmann entfaltet ein kontrapunktisches Geflecht, in dem so manches gerade aufblühende Motiv schroff wieder abbricht. Trotzdem ist alles aufeinander bezogen. Keine Note, die man nicht irgendwie herleiten könnte. Mojca Erdmann fängt mit ihrem wunderbar warmen Sopran an zu singen, und sofort reihen sich vier, fünf Stimmen ein, führen weiter, variieren.
Ein komplexes, in sich absolut schlüssiges Geflecht aus Stimmen - das hat er sich abgeschaut bei Mozart, der es sich auch nur abgeschaut hat bei - klar - Johann Sebastian Bach. Als Mozart zum ersten Mal Bachs Fugen gehört hat, soll ihn das um ein Haar in eine Schaffenskrise gestürzt haben. So ergriffen, so überwältigt muss er von diesen Stücken gewesen sein. Kurzerhand komponierte er selber eine: die Fuge in c-Moll, konzipiert für zwei Klaviere. Vielleicht, um sie mit seiner Fugen-versessenen Frau Konstanze zusammen zu spielen. Wer weiß. Später bearbeitete Mozart die Fuge für Streicher und schrieb noch eine langsame Einleitung dazu.
Das Irish Chamber Orchestra unter Jörg Widmann spielt sie schroff-schön. Außerdem auf der neuen CD von Jörg Widmann: die fünfte Symphonie von Felix Mendelssohn Bartholdy, die sogenannte "Reformations-Symphonie", und eine Bearbeitung des Andante aus Mendelssohns Sonate für Klarinette und Klavier. Eine "Wunder-Musik", wie Widmann sagt. Er hat sie bearbeitet für Klarinette, Streichorchester, Harfe und Celesta. Leicht schräg, irgendwie entrückt. Auch dieser Bearbeitung ist Widmanns persönliche Klangsprache eingeprägt. Jörg Widmann schreibt im besten Sinne eigenwillig und dabei immer publikumskompatibel. Das zeigt sich natürlich noch mehr in seinem Versuch über die Fuge. Seine Stücke bieten einem genau den Zugang, den man gerade zu gewähren imstande ist. Das heißt: Wenn ich um die Konventionen der lateinischen Sakralmusik weiß oder um die hochgelehrten Quartetti fugati, wie Mozart und Haydn sie geschrieben haben, dann bin ich imstande, das aus Widmanns Versuch über die Fuge herauszuhören. Und wenn nicht? Dann höre ich noch immer hinreißend gute Musik. Komplex und sinnlich. Gelassen und dringlich. Dieser Versuch ist geglückt.
Wolfgang Amadeus Mozart:
Adagio und Fuge c-Moll KV 546
Jörg Widmann:
Versuch über die Fuge (Fassung für Sopran, Oboe und Kammerorchester)
Felix Mendelssohn Bartholdy:
Symphonie Nr. 5 "Reformations-Symphonie"
Felix Mendelssohn Bartholdy/Jörg Widmann:
Andante
Irish Chamber Orchestra
Mojca Erdmann, Sopran
Leitung: Jörg Widmann
Label: Orfeo