Iván Fischer, gerade 65 geworden, ist einer der erfolgreichsten Dirigenten Ungarns. Was der gebürtige Budapester für das Musikleben seiner Heimat getan hat, kann man gar nicht hoch genug schätzen. So ist Iván Fischer Mitbegründer der ungarischen Gustav-Mahler-Gesellschaft und initiierte das Budapester Mahlerfest. Und sogar ein eigenes Orchester gründete er 1983 in der ungarischen Hauptstadt, das er bis heute leitet: das Budapest Festival Orchestra.
Bildquelle: Channel Classics
CD-Tipp 02.02.2016
Der CD-Tipp zum Nachhören!
Mit diesem handverlesenen Kollektiv hat Fischer seither unzählige preisgekrönte CDs für das Label Channel Classics eingespielt. Weit gediehen ist ein neuer Brahms-Zyklus mit dem Budapest Festival Orchestra. Die aktuelle dritte Folge bietet neben drei Ungarischen Tänzen als Hauptwerk die vierte Symphonie von Johannes Brahms, die er selbst 1885 in Meiningen uraufführte.
"Welch ein wunderbarer Beginn: eine fragmentarische Melodie, die wie ein Blatt vom Wind auf und ab geblasen wird. Noch nie wurde Zärtlichkeit bewegender komponiert" - so der Dirigent Iván Fischer im Booklet zu seiner Neuaufnahme der Vierten Symphonie von Brahms. Zärtlichkeit – das ist das Stichwort für seine Brahms-Interpretation. Zärtlich ist sein Zugang zu diesem Gipfelwerk der romantischen Symphonik, sensibel sein Gespür für Zwischentöne und Tempo-Nuancen. Von Anfang an liegt ein Schleier von Traurigkeit über dieser e-Moll-Symphonie, die sich immer wieder schmerzlich aufbäumt. Fischer hält die Musik von Brahms organisch im Fluss und kommt dabei ganz ohne bedeutungsschwere Härten aus. Gleichwohl animiert er sein Budapest Festival Orchestra zu leidenschaftlicher Glut, wenn es Brahms fordert – etwa im machtvoll schreitenden Andante moderato.
Diesen Satz interpretiert Fischer als großes Liebeslied, seine Streicher "singen" mit einer Innigkeit, die zu Herzen geht. Wo andere Dirigenten tief in die Emotionskiste greifen, sorgt Fischer für schlanke Tongebung und dosiertes Vibrato. Die Kunst dieses Dirigenten besteht darin, Ausdrucksdichte durch Intensität zu erzielen – und nicht durch sentimentale Verbreiterung oder gar pathetische Aufwallung. Weniger wuchtig als sonst wirkt bei Fischer auch das burschikose, grimmig auftrumpfende Scherzo. Nicht ohne Grund schrieb Brahms, auf den herben Charakter seiner Vierten anspielend, aus seiner steirischen Sommerfrische an den Dirigenten der Meininger Hofkapelle, Hans von Bülow:
Ich fürchte, sie schmeckt nach dem hiesigen Klima – die Kirschen hier werden nicht süß, die würdest Du nicht essen!
Diese Herbheit ist das eine, was die vierte Symphonie ausmacht. Das andere ist die Formkunst von Brahms, die im grandiosen Gebäude der finalen Passacaglia gipfelt. Die dreißig Variationen über eine Bass-Linie aus einer Bach-Kantate gestaltet Fischer farbig und kontrastreich: mal ruhig atmend, mal tänzerisch federnd – aber immer rhythmisch profiliert und prägnant artikuliert. Neben- und Gegenstimmen kommen plastisch zur Geltung, ohne die Klangbalance zu gefährden. So lehrt uns diese Aufnahme Brahms neu hören: In Iván Fischers Konzept, das vom Budapest Festival Orchestra brillant umgesetzt wird, bezieht die majestätische Passacaglia ihre Größe nämlich aus ihrer Ambivalenz von Triumph und Tragik. Fischer selbst hat zur Vierten von Brahms eine apokalyptische Vision:
"Brahms beendet sein symphonisches Werk mit der prophetischen Vorahnung von Oswald Spenglers Buch 'Der Untergang des Abendlandes'."
Johannes Brahms:
Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98
Ungarische Tänze Nr. 3 f-Moll, Nr. 7 a-Moll und Nr. 11 d-Moll (Bearbeitungen für Orchester)
Budapest Festival Orchestra
Leitung: Iván Fischer
Label: Channel Classics