Der Jazz-Pianist Keith Jarrett gab kürzlich bekannt, dass er nie wieder auftreten werde – aufgrund der Folgen zweier Schlaganfälle. Eine seiner letzten Aufnahmen ist jetzt als Doppel-CD erschienen: "Budapest Concert" heißt sie.
Bildquelle: ECM
Der CD-Tipp zum Anhören
Eine schöne, ruhige Melodie. Eine Musik, die sanft die Ohren einfängt. So klingt das Anfangsstück der zweiten CD. Das muss irgendein amerikanischer Musical-Song sein, den man noch nicht kennt. Logischer Aufbau, lyrische Linien, angenehm melancholische Stimmung. Klingt wie ein Evergreen – aber von wem? Das Stück stammt von Pianist Keith Jarrett. Der Pianist hat das Erbe der amerikanischen Song-Komponisten verinnerlicht. Und hier legte er in einem Konzert eine freie Improvisation hin, die dieses klangliche Erbe feiert. Nicht etwa "A Wonderful Day in July" heißt das Stück, sondern einfach nur "Part V". Aufgenommen bei einem Solo-Konzert Jarretts in der Béla-Bartók-Konzerthalle in Budapest am 3. Juli 2016.
Jarrett, bekannt für eine nicht immer gute Laune, war in diesem Konzert offenbar ziemlich guter Dinge. Gerade in der zweiten Hälfte des Konzerts legte er einen melodischen Erfindungsreichtum an den Tag, der auch bei ihm selten ist. Hinreißend, was er etwa in "Part VII" anstellt: Gospel-Schmelz und sanfter Groove. Und gleich im nächsten Track scheint er diese Schönheit noch einmal zu toppen – mit einer ungewöhnlich zarten Melodielinie. Zauberhaft: Ein Stück mit viel Pathos, aber bei Jarrett wirkt es nicht kitschig. Als ein schwer überbietbarer Meister soghafter Stimmungen zeigt er sich in diesen Aufnahmen. Bis man als Hörer dieser Doppel-CD so weit kommt, muss man allerdings einiges arbeiten.
Eher düster hatte Jarrett das Konzert begonnen. Und 15 Minuten lang verdichtete der Pianist gerade im sperrig-energiegeladenen "Part I" schwierige Töne immer mehr. Das ist reizvoll zu hören, denn er hielt die Spannung. Vergleicht man diese Aufnahme mit dem bereits früher als "Munich 2016" veröffentlichten Konzert aus München, das 13 Tage nach dem Budapester Konzert aufgenommen wurde, merkt man: Der Gesamtspannungsbogen ähnelt sich an beiden Abenden stark. Auch dieser Musiker griff also manchmal auf wiederkehrende Aufbauschemata zurück. In München und Budapest tauchten auch sehr ähnliche Blues-Teilstücke auf. Und zwei Zugaben waren die gleichen Stücke. Aber: Wie unterschiedlich er sie spielte! Eine der Zugaben, der Evergreen "It"s A Lonesome Old Town", ist in der Budapester Aufnahme eine Sternstunde für sich. Für solche Momente lohnt sich jede Jarrett'sche Doppelung. Musik eines einzigartigen Interpreten.
Keith Jarrett:
Budapest Concert
Keith Jarrett (Klavier)
Label: ECM
Sendung: "Leporello" am 11. November 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK