BR-KLASSIK

Kann ein Geiger auch gute Opern schreiben? Jean-Marie Leclair, bekannt als größter französischer Geiger des 18. Jahrhunderts, hat es einmal versucht. Das Ensemble "Les Nouveaux Cractères" stellt das Werk in einer neuen Einspielung vor.

"Ich weiß sehr wohl, dass die Kehle nicht dasselbe ist wie der Hals einer Geige", antwortete der Violinvirtuose Giuseppe Tartini auf die Frage, warum er keine Opern komponiere. Viele andere Geiger versuchten sich dennoch in beiden Welten, der Instrumental- und der Vokalmusik - und mussten sich doch meist dem Vorurteil stellen: Kann ein Geiger überhaupt eine gute Arie schreiben?

Instrumentale und vokale Perlen

Im Fall von Antonio Vivaldi spalteten sich die Geister - und ebenso bei seinem französischen Zeitgenossen Jean-Marie Leclair. Seine einzige Oper "Scylla et Glaucus" hielt sich nur wenige Wochen im Spielplan der Pariser Oper. Aus heutiger Sicht nicht gerade nachvollziehbar, wie die Gesamteinspielung der Oper mit dem Vokal- und Instrumentalensemble "Les Nouveaux Caractères" unter Sébastien D'Hérin zeigt.

Zugegeben: die instrumentalen Stücke sind tatsächlich die Perlen der Oper, besonders die kurzen Préludes zu den Akten und die Ballette. Aber auch für Stimmen wusste Leclair ausgezeichnet zu schreiben. Seine Rezitative sind nicht von der Stange, sondern spiegeln sehr einfühlsam den dramatischen Verlauf wider. Und in den Arien finden alle Charaktere ihren eigenen Ausdruck, von der zarten Scylla bis zur aufbrausenden Circé.

Plastische Interpretation

Die Gesangssolisten deuten ihre Rollen sehr plastisch aus: allen voran Emöke Barath als Scylla mit glockenheller Stimme, Anders J. Dahlin als Glaucus mit strahlendem Timbre und Caroline Mutel als Circé mit großer theatraler Wucht. Der heimliche Star der Aufnahme ist jedoch der Chor, von Leclair prominent in Szene gesetzt, der seinem Namen "Les nouveaux Caractères" alle Ehre macht und sich als eigenständiger dramatischer Charakter dieser großartigen Oper etabliert.