"Müsste ich mein eigenes Album rezensieren, würde ich schreiben: Warum zum Teufel singst Du jetzt schon den Otello?", sagte Joseph Calleja in einem Interview. In der Tat, warum um alles in der Welt singt Joseph Calleja den Otello, auf seiner neuen CD mit Ausschnitten aus Opern von Giuseppe Verdi?
Bildquelle: Decca
Der CD-Tipp zum Anhören
Der Otello ist schließlich eine Rolle für einen Heldentenor, der nicht nur das jubilierende "Esultate" am Anfang stemmen muss, sondern neben dem dramatischen Duktus seiner Stimme ganz viele dunkelgraue und immer schwärzer werdende Farben beimischen sollte: wahrscheinlich Verdis schwerste Tenor-Partie. Eine, die jeder Sänger irgendwie im Kopf hat und die doch nur die wenigsten formvollendet auf die Bühne bringen.
Mindestens zehn Jahre will der maltesische Tenor Joseph Calleja jedoch noch warten, bis er Verdis Otello auch auf der Bühne singt und zeigt. Beruhigend, denn beim ersten Blick auf die Trackliste des neuen Albums wird einem um Callejas lyrische, wunderschöne Stimme bei diesem dramatischen Repertoire schon ein wenig Angst und Bange. Er selbst macht ganz ehrlich klar, dass die Idee ist, sich unter Studiobedingungen an die Partie heranzutasten, zu beobachten, wie die Stimme reagiert, auch der Körper – ohne Maske und Kostüm, ohne Inszenierung.
Legitim, dieser Ansatz, denn Joseph Calleja ist hörbar (und das überrascht durchaus, wenn man ihn von den Bühnenpartien her wahrnimmt) auf dem Weg heraus aus dem lyrischen hin ins dramatische Fach. Vieles ist schon da: Callejas Tenor ist beachtlich groß mittlerweile, er muss sich nirgendwo künstlich aufplustern, um Wirkung zu erzielen, muss Jähzorn, Wut und Rachsucht nie manieristisch erzeugen. Er stemmt die Höhe souverän und immer melodisch, er differenziert vor allem in den Monologen "Dio mio potevi" und "Niun mi tema" erkennbar. Auch, wenn diesem Otello das Schwarze, das Fahle und das Abschattierte im Extrem noch fehlen – es ist ein freudiger Zwischenstand, eine spannende Momentaufnahme des 40-jährigen Maltesers.
Neben Otello sind noch andere Verdi-Meilensteine auf Callejas neuem Album: Radamès und Don Carlo etwa. Auch dies sind Partien, die für den maltesischen Tenor im Moment nicht auf dem Bühnenplan stehen, sondern die er unter den "Laborbedingungen" eines Aufnahmestudios wagt. Und lustvoll meistert, was auch an seinen hilfreichen Begleitern, dem Orquestra de la Comunitat Valenciana unter Leitung von Ramón Tebar, liegt. Ein "Verdi to be" also. Ein Fußstapfen-Album, da macht Joseph Calleja sich und seinen Hörern nichts vor. Aber eins, bei dem man sich jetzt und schon für später freuen kann!
Giuseppe Verdi:
Arien aus "Aida", "Il Trovatore", "La forza del destino", "Don Carlo", "Otello"
Joseph Calleja (Tenor)
Orquestra de la Comunitat Valenciana
Leitung: Ramón Tebar
Label: Decca
Sendung: "Leporello" am 24. April 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK