Anfang der 1940er Jahre wurde er in deutschen Feuilletons als "pianistische Hoffnung ganz großen Formats" gefeiert. Am 14. September 1943 berichtete die Presse über die Hinrichtung des 27-jährigen Pianisten Karlrobert Kreiten im Tonfall der Genugtuung. Der "Volksschädling" habe sich der "Feindbegünstigung" und "Wehrkraftzersetzung" schuldig gemacht.
Bildquelle: CAvI
CD Tipp 20.03.2017
Der CD-Tipp zum Anhören
Tatsächlich hatte Kreiten lediglich in privatem Kreis ausgesprochen, was jeder sehen musste: Dass der Krieg längst verloren war und Hitlers Wahn Deutschland in den Untergang führte. Er wurde denunziert, von der Gestapo verhaftet und nach mehrmonatiger Haft zum Tode verurteilt. Nun ist ein Album erschienen, das die wenigen existierenden Aufnahmen des jungen Pianisten zusammenfasst. Außerdem gestalteten vier zeitgenössische Komponisten Hommage-Beiträge für Kreiten - Erinnerungskultur zum Anhören.
Von weither klingt die Kunst des Pianisten Karlrobert Kreiten - für den Entwicklungsstand der Aufnahmetechnik vielleicht zu weit. Die erhaltenen Einspielungen entstanden zwischen 1933 und 38, ganz am Anfang einer hoffungsvollen Karriere, weitgehend in einem privaten Düsseldorfer Studio. Sie waren nicht zur Veröffentlichung, sondern zu Studienzwecken bestimmt, und dokumentieren teilweise sogar Kreitens Stimme. Diese Aufnahmen wurden nun in aufwändigen Verfahren restauriert, mit sehr unterschiedlichem Ergebnis. Und doch lohnt es sich, durch das Rauschen der Vergangenheit hineinzuhören in das Spiel dieses Pianisten, dem sein Lehrer Claudio Arrau prophezeite, dass er einst als führender deutscher Pianist in die Fußstapfen Kempffs und Giesekings treten würde.
Als Mittzwanziger hatte Karlrobert Kreiten sich ein umfassendes Repertoire von Bach bis Busoni erarbeitet. Seine stupende, schwerelose Technik prädestinierte ihn zum Liszt-Interpreten. Auf seinen Konzertreisen, die er von der Heimatstadt Düsseldorf aus auch in Kriegszeiten durch ganz Deutschland unternahm, spielte er mit Vorliebe Klavierkonzerte von Tschaikowsky, Rachmaninow und Prokofjew. Leider ist keines der großen, repräsentativen Werke, mit denen er das Publikum in ausverkauften Sälen zum Toben brachte, als Tondokument erhalten. Eine heutige Spurensuche nach dem vielgerühmten luziden, strukturbetonten und doch ekstatischen Spiel Kreitens muss sich beschränken auf einige Préludes von Chopin, kleine Stücke von Brahms, Ravel, Schoeck und das virtuose Arrangement eines Strauß-Walzers aus der Feder seines Vaters Theo Kreiten, Kompositionsprofessor am Düsseldorfer Konservatorium.
Kreiten war kein Widerstandskämpfer, sondern ein Vollblutkünstler. Wie sollte er ahnen, dass ein nebenhin geäußerter Zweifel am "Endsieg" auf direktem Weg nach Berlin-Plötzensee führen konnte. Seine Prominenz schützte ihn nicht - ganz im Gegenteil, denn sein Fall eignete sich zur Statuierung eines Exempels, das von der Propagandamaschinerie infam ausgeschlachtet wurde. Eines der vielen sinnlosen Opfer des Naziregimes, eine der wenigen großen musikalischen Hoffnungen einer verlorenen Generation. Eine Hoffnung, die unerfüllt bleiben sollte.
Historische Aufnahmen:
Werke von Johannes Brahms, Frédéric Chopin, Robert Forkhardt, Othmar Schoeck, Theo Kreiten, Johann Strauß Sohn und Maurice Ravel
Karlrobert Kreiten (Klavier)
Aufnahmen 1933-38
Zum Andenken an Karlrobert Kreiten:
Werke von Thomas Blomenkamp, Oskar Gottlieb Blarr, Philipp Lojak und Christian Banasik
Tobias Koch, Udo Falkner (Klavier)
Label: CAvI