Er ist der spektakulärste Pianist des zeitgenössischen Jazz: der Amerikaner Keith Jarrett. Sein "Köln Concert" von 1975 ist mit fast vier Millionen verkauften Tonträgern die erfolgreichste Klavier-Solo-Platte aller Zeiten. Jetzt ist ein Konzert, das er im Juli 2016 in der Philharmonie im Münchner Gasteig gab, auf einer Doppel-CD erschienen. Sie heißt schlicht "Munich 2016" und zeigt Jarretts Spiel in außergewöhnlicher Intensität.
Bildquelle: ECM
Der CD-Tipp zum Anhören
Viel Licht. Klaviertöne, die sofort mit Schönheit gefangen nehmen – und mit Zartheit. So etwas kann nur er: Keith Jarrett. Zumindest genauso wie in bestimmten Momenten dieses Konzerts, die geprägt sind von seinem extrem feinen Umgang mit den Tasten und von einer Erfindungsgabe für berückend nahbare und doch nicht billige Melodien. Er kann es, wenn er gut drauf ist. Und am 16. Juli 2016 in der Münchner Philharmonie gab dieser große Launische des Klaviers sich über ganz weite Strecken gegenüber dem Publikum fast leutselig freundlich – und spielte aufregend inspiriert.
Eines der Teilstücke des gut 90-minütigen Konzerts – mit dem nüchternen Titel "Part III" – gehört zu den ergreifendsten Stücken, die Keith Jarrett je eingespielt hat. Es entwickelt sofort einen Sog. Frei improvisiert, ganz aus dem Moment geschöpft. Wie man anderen beim Denken zusehen kann, kann man Jarrett beim Erfinden und Formen von Musikstücken beobachten – auch wenn man ihn nur hört und nicht dabei sieht. Die Töne können dabei sehr unterschiedlich sein.
Denn ganz ernst, streng, mit drängender Intensität hatte Keith Jarrett den Abend begonnen – zwei Tage, nachdem in Nizza der verheerende Terroranschlag mit über 80 Toten stattgefunden hatte, unweit von dem Hotel entfernt, in dem der Pianist sich aufhielt. Im ersten langen Stück der CD – es dauert 14 Minuten – glaubt man zu spüren, dass seine Musik ganz nah am Leben sein kann und keineswegs ein abgehobenes ästhetisches Produkt ist. Das Schöne und das Dramatische hat bei Jarrett gleichermaßen Platz. In zwölf Teilstücken und drei Zugaben sind alle Facetten da: nervöses Wirbeln, gospelartiges Schwelgen, zartes Schweben, free-jazziges Rumoren, trillernde Anmut und kantiger Blues.
Einen scharfkonturierten Blues-Groove gab es sogar zweimal in dem Münchner Konzert. Es präsentierte insgesamt Keith Jarrett auf einem Höhepunkt seines Könnens. Ein Musik-Kaleidoskop in ganz vielen Farben – und dies ist in dieser Qualität nur möglich durch eine fabelhafte Kontrolle über das Instrument und durch ein immenses musikalisches Vokabular. Ein großer Spannungsbogen baut sich auf – mit einer leichten Welle anfangs des zweiten Drittels, was das Ganze nur noch interessanter macht. Und am Ende eine hinreißende Gelöstheit in den Melodien der Zugaben. Zum Beispiel in dem Stück "Answer me, my love", das einst ein deutscher Schlager war ("Glaube mir"): überraschend innig, überraschend nahbar. Eine Jarrett-Laune – eine von den schönen.
Keith Jarrett (Klavier)
Label: ECM
Sendung: "Leporello" am 28. Oktober 2019, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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