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CD - Frieder Bernius dirigiert György Ligetis Requiem

Jahrzehntelang hing die riesige Partitur bei Dirigent Frieder Bernius über dem Schreibtisch. Als Ansporn, als Herausforderung, als fernes Ziel. Das Requiem von György Ligeti: eines der anspruchsvollsten Chorwerke der Gegenwart. Und schon von der gewaltigen Besetzung her eine Herkulesaufgabe für einen der besten Kammerchöre Deutschlands. Erst im März 2006 war es dann soweit: Frieder Bernius konnte die zerklüftete Komposition endlich aufführen, mit seinem Kammerchor Stuttgart und dem Danubia Orchestra aus Budapest.

Bildquelle: Carus

Der CD-Tipp zum Anhören

Jetzt, über zehn Jahre später und gerade rechtzeitig zu seinem 70. Geburtstag, hat Frieder Bernius den Stuttgarter Live-Mitschnitt auf CD herausgebracht. Das allein zeigt schon, wie wichtig ihm diese Musik ist. Diese Totenmesse, die in surrealen Klangbildern den Weltuntergang beschwört, wie einst die grotesken Gemälde eines Pieter Brueghel oder eines Hieronymus Bosch. Die aber auch mit tiefschwarzen Tönen Beklemmung und Todesangst spiegelt, den kalten Klammergriff des Nichts.

Intonationssicher, transparent, lichtdurchflutet

Die flehenden Klangflächen des "Kyrie", hinter denen sich eine 20-stimmige Doppelfuge verbirgt, wirken heute stärker als das plakative "Dies irae" mit seinen theatralischen Eruptionen. Stanley Kubrick hat die Musik in seinem Film "2001 - Odyssee im Weltraum" verwendet und dadurch berühmt gemacht. György Ligeti hatte aber nicht den Weltraum im Sinn, als er sein Requiem 1965 komponierte, sondern eher die Opfer des Ungarischen Volksaufstands, die toten Widerstandskämpfer. Am eindringlichsten ist ihm dabei das nachkomponierte "Lux aeterna" gelungen. Die unglaublich intonationssichere, transparente, lichtdurchflutete Interpretation von Frieder Bernius und dem Kammerchor Stuttgart erreicht hier den Rang einer Referenzaufnahme.

Spiel mit Illusionen

Den Ligeti-Schwerpunkt auf der CD ergänzt der Kammerchor Stuttgart schlüssig durch Chor-Arrangements von Clytus Gottwald - eine Wiederveröffentlichung aus dem Archiv. Gottwald hat in den 60er Jahren nicht nur mit Ligeti zusammengearbeitet, sondern gehörte als experimentierfreudiger Chorleiter zu den wichtigsten Anregern der Avantgarde. Seine Transkriptionen von Ravel- und Mahler-Klavierliedern oder sogar Debussy-Klavierstücken für 16stimmigen Chor haben mit ihrer klangfarblichen Raffinesse inzwischen Kultstatus. Die Arrangements führen das Schweben und Strömen von Ligetis Musik fort, auch das Spiel mit Illusionen; manchmal meint man im a-capella-Chor sogar Instrumente zu hören. Nach dem verstörenden Requiem führen Gottwalds betörende Transkriptionen die CD zu einem versöhnlichen Abschluss, und wenn der letzte Ton verklungen ist, möchte man sich am liebsten staunend verneigen vor diesem Chor, der Präzision und Magie auf so atemberaubende Weise verbindet.

Frieder Bernius dirigiert Chormusik des 20. Jahrhunderts

György Ligeti:
Requiem; "Lux aeterna"
Maurice Ravel arr. Clytus Gottwald:
"Soupir"
Claude Debussy arr. Clytus Gottwald:
"Les Angélus"; "Des pas sur la neige"
Gustav Mahler arr. Clytus Gottwald:
"Ich bin der Welt abhanden gekommen"

Gabriele Hierdeis (Sopran)
Renée Morloc (Alt)
Kammerchor Stuttgart
Danubia Orchestra Óbuda
Leitung: Frieder Bernius

Label: Carus

Sendung: "Leporello" am 28. September 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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