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CD - Lucas Debargue Bach, Beethoven, Medtner

Immer wieder wurden Pianisten berühmt, obwohl sie bei wichtigen Wettbewerben nicht den ersten Preis gewonnen haben. Oder gerade deshalb. Martha Argerich trat 1980 unter Protest als Jurorin zurück, weil der junge Ivo Pogorelich nicht zur Endrunde zugelassen wurde. Für den Karrierestart war dieser aufmerksamkeitsträchtige Skandal wohl sehr viel wertvoller als ein Erster Preis.

Bildquelle: Sony Classical

CD-Tipp 12.10.2016

Der CD-Tipp zum Nachhören!

Heftige Auseinandersetzungen gab es auch vor einem Jahr beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Als Außenseiter war der 24-jährige Franzose Lucas Debargue angetreten - und spaltete Jury und Publikum. Eine Sensation sei dieser junge Mann, sagten die einen, völlig unreif, die anderen. Die Jury zerstritt sich. Pianist Boris Berezowsky nannte ihn ein Genie, Jury-Kollege Michel Béroff bezweifelte öffentlich seine Professionalität. Dass es für Debargue dann nur für einen 4. Platz reichte, ärgerte keinen Geringeren als Valery Gergiev. Als Jury-Vorsitzender setzte der sich kurzerhand über die Regeln hinweg: Debargue durfte trotzdem in der Gewinner-Gala spielen.

Unkonventioneller Ausbildungsweg

In der Zeitung war viel zu lesen über die angeblichen Marotten von Lucas Debargue, und auf YouTube kann man sehen, wie er mit seiner intensiven Körpersprache jede Phrase durchlebt. Unkonventionell war schon der Ausbildungsweg. Vergleichsweise spät, mit 11 Jahren, bekam er professionellen Klavierunterricht. Und mit 17 legte er eine Pause ein, spielte ein paar Jahre nur noch Jazz und Rock. Erst mit Anfang 20 begann er wieder konzentriert zu üben. Und schon seine erste CD machte klar, dass Debargue viel mehr ist als ein verschrobener Sonderling, der über eine ungewöhnliche, aber brillante Technik verfügt. Für ihn ist Musik eine unmittelbare Sprache der Gefühle, mit der er ganz eigene Dinge zu sagen hat. Und auf seiner zweiten CD beweist er, dass er willens und fähig ist, diese Emotionalität bedingungslos in den Dienst der Werke zu stellen. Zwei der "großen B" hat er sich ausgesucht: Bach und Beethoven. Bei diesen Komponisten kann man nichts verbergen.

Technisch makellose Gestaltung

Und tatsächlich: Bachs Toccata in c-Moll interpretiert Debargue wunderbar atmend und ausbalanciert, kein bisschen manieriert. Hier spielt ein technisch makelloser Gestalter mit größter Genauigkeit und emotionaler Aufrichtigkeit, natürlich atmend und kristallklar. Und man kann immer weniger verstehen, was einzelne Jury-Mitglieder des Tschaikowsky-Wettbewerbs zu dem bösen Verdikt "unreif" brachte. Sicher: Der Eindruck in einem Wettbewerbsvorspiel ist ein völlig anderer als bei einer Studioproduktion. Aber beim Hören dieser CD stellt man exakt das Gegenteil fest. Debargues Bach- und auch sein Beethoven-Spiel sind schlicht: meisterhaft.

Atemberaubendes Pianissimo

Die Phrasen sprechen, die Form entfaltet sich stimmig und lebendig. Debargue nimmt relativ wenig Pedal, sein Anschlag ist wunderbar klar und nuanciert, sein Pianissimo atemberaubend. Dass Debargue auch eine im guten Sinne exzentrische Seite hat, kommt am stärksten im dritten Werk der CD zum Ausdruck: der großangelegten Klaviersonate op. 5 des russischen Komponisten Nikolai Medtner. Der fand Anfang des 20. Jahrhunderts neben den Klavier-Giganten Skrjabin und Rachmaninow zu einer ganz eigenen, faszinierenden Sprache. Während Medtners spätere Werke gelegentlich im Konzert gespielt werden, ist die frühe f-Moll-Sonate op. 5 fast nie zu hören. Lucas Debargue gelingt ein begeisterndes Plädoyer für dieses flamboyante Meisterwerk.

Ganz großes Kino

Diese Musik ist so reich: abwechselnd leidenschaftlich und grotesk, düster und triumphal, introvertiert und dramatisch. Sehr russisch, ganz großes Kino, aber meisterhaft in Form gebracht. Und grandios gestaltet von Lucas Debargue.

Lucas Debargue - Bach, Beethoven, Medtner

Johann Sebastian Bach:
Toccata c-Moll, BWV 911
Ludwig van Beethoven:
Klaviersonate D-Dur, op. 10 Nr. 3
Nikolai Medtner:
Klaviersonate f-Moll, op. 5

Lucas Debargue (Klavier)
Label: Sony Classical

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