Beethoven, Schubert, Dvorak und Bruckner – sie alle waren nicht über eine Neunte Symphonie hinausgekommen. Und so hatte Gustav Mahler, abergläubisch wie er war, Angst davor, eine Neunte zu schreiben. Würde auch er danach sterben? Sein monumentales "Lied von der Erde", das ursprünglich als Neunte Symphonie geplant war, nahm er aus der Zählung lieber wieder heraus. Als er dann 1909 mit seiner offiziellen Neunten begann, meinte er, offenbar um sich selbst zu beruhigen: Eigentlich sei es ja schon seine Zehnte. Zwei Jahre später verstarb er im Alter von nur 50 Jahren.
Bildquelle: Channel Classics
CD-Tipp 23.05.2015
Der CD-Tipp zum Nachhören!
In die Partitur seiner Neunten schrieb Mahler immer wieder das Wort "Lebewohl". Hat er geahnt, dass es sein letztes vollendetes Werk werden würde? Müßige Spekulation. Um die Themen Tod und Abschied geht es auch in Mahlers Jugendwerken oft genug. Und es besteht ja eigentlich kein Grund, dass wir als Hörer Mahlers Aberglauben fortsetzen. Trotzdem: Dass sich Mythen um dieses Werk ranken, ist völlig unvermeidlich. Kaum eine Beschreibung passt besser darauf als: jenseitig schön. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn Mahler weitergelebt und fröhlich noch eine Elfte und Zwölfte geschrieben hätte.
Diese unglaublich weiträumige Musik beschwört Bilder herauf, erzählt Geschichten, ist voller Dramatik und plötzlicher Brüche - und findet doch immer wieder zu abgeklärter Ruhe. Entstanden ist sie in Mahlers Sommerhaus in den Dolomiten, und es liegt darin etwas von der Stimmung eines klaren Herbsttags in den Bergen, wenn die Luft ganz durchsichtig ist und der Blick fast ins Unendliche zu gehen scheint. Genau dieser Eindruck ist es, den auch Iván Fischer mit seiner Deutung heraufbeschwört: Alle Sentimentalitäten, in die sich schwächere Mahler-Interpreten flüchten, sind wie weggeblasen. Konsequent widersteht Iván Fischer der naheliegenden Versuchung, bei dieser hochemotionalen Musik noch eins drauf zu setzen. Stattdessen wählt er wunderbar pulsierende, immer vorwärtsdrängende Tempi, ohne dabei in irgendeinem Moment den großen Atem zu verlieren.
Zupackend klingen bei Iván Fischer die ländlerhaften Mittelsätze. So entkommt er dankenswerterweise allen ausgewalzten Gemütlichkeits-Klischees. Dafür kennt Fischer als perfekt Deutsch sprechender Ungar das echte Idiom der österreichischen Volksmusik viel zu gut. Dabei macht er in jedem Takt hörbar, dass Mahlers Ländler immer einen doppelten Boden haben. Aufnahmetechnisch und auch vom Orchesterniveau ist diese Einspielung mit Iván Fischer und dem Budapest Festival Orchestra brillant. Berührend ist sie gerade wegen ihrer schnörkellosen Klarheit, die Mahlers tiefempfundene Musik zu sich selbst kommen lässt.
Budapest Festival Orchestra
Leitung: Iván Fischer
Label: Channel Classics