Wenn man ein besonderes Konzert live miterlebt hat, ist es schön, wenn man es hinterher nochmal auf CD hören kann. Und wenn man es verpasst hat, bleibt einem sowieso nur diese Möglichkeit. Im Fall von Bernard Haitink, dem bald 88-jährigen niederländischen Grandseigneur am Pult, war es ein Ereignis, als er im Juni letzten Jahres beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks die Dritte Symphonie von Gustav Mahler dirigierte. Der Mitschnitt aus der Münchner Philharmonie ist nun auf CD erschienen.
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CD-Tipp 18.01.2017
Der CD-Tipp zum Anhören
Von Anfang an fasziniert, mit welcher Entschiedenheit, Klarheit und Souveränität Bernhard Haitink Gustav Mahlers Riesenpartitur anpackt. Die Dritte ist seine längste Symphonie und entwickelt in sechs Stufen einen tönenden Mythos von der Entstehung der Welt - von der starren, unbelebten Materie bis zur Liebe Gottes. Nach dem Einmarsch des Frühlings folgen die Streicher des Symphonieorchesters mit zartem Schmelz Mahlers Worten "Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen".
"Ja nicht eilen!" schreibt Mahler über den zweiten Satz zur erwachenden Natur. Haitink hält sich daran, meidet zugleich aber jeden Anflug von Sentimentalität - was die innere Größe seiner Mahler-Interpretation ausmacht. Traumhaft gestalten die Musiker des Symphonieorchesters ihre zahlreichen Soli. Wann hat man das Posthorn im "tierischen" dritten Satz je so schön gehört wie bei Martin Angerer?
Das Experimentieren mit Fernklängen macht Mahlers Dritte Symphonie zur imposanten Raummusik. Dank der Klangregie kommen hier alle Details plastisch zur Geltung, die Dynamik ist weiträumig gestaffelt. Geradezu ein Naturereignis ist es, wenn mit der glutvollen Altistin Gerhild Romberger in Mahlers Kosmos plötzlich der Mensch die Bühne betritt.
Ein magischer Moment wie die Mahnung der Erda in Wagners "Rheingold". Einen fröhlichen Kontrast dazu setzen die Augsburger Domsingknaben und der Frauenchor des Bayerischen Rundfunks mit dem kecken Auftritt der Putten im fünften Satz "Was mir die Engel erzählen" - ein naives Heiligenbild.
Bernard Haitink ist mit seiner immensen Mahler-Erfahrung Außergewöhnliches gelungen. Mit enormer Umsicht steuert er den gewaltigen Apparat durch diese monumentale Symphonie, gekonnt disponiert er Spannungsbögen, schafft geistige Zusammenhänge. Und wenn Mahler in seltener Zuversicht mit der finalen Himmelsmusik sein Weltgebäude krönt, vollendet sich eine Sternstunde - zum Niederknien.
Gustav Mahler:
Symphonie Nr. 3 d-Moll für Alt-Solo, Knabenchor, Frauenchor und Orchester
Gerhild Romberger, Mezzosopran
Augsburger Domsingknaben
Einstudierung: Reinhard Kammler
Frauenchor des Bayerischen Rundfunks
Einstudierung: Yuval Weinberg
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Bernard Haitink
Label: BR-KLASSIK