Die junge französische Mezzosopranistin Marianne Crebassa legte bislang eine gewisse Vorliebe für Hosenrollen an den Tag: Auf ihrem ECHO-preisgekrönten Debütalbum mit dem Titel "Oh Boy!" hatte sie sich mit hörbarem Vergnügen Travestiepartien von Klassik bis Romantik vorgenommen. Jetzt präsentiert sie ein Kontrastprogramm und enthüllt in "Secrets" die Geheimnisse tiefgründiger Frauenseelen.
Bildquelle: Erato/Warner Classics
Der CD Tipp zum Anhören
Diese Frau braucht keine Worte, um den betörenden Farben- und Ausdrucksreichtum ihrer samtigen Stimme zu entfalten. Ein Studienstück wie Ravels Vokalisen-Habanera genügt ihr schon zu einem verblüffenden Feuerwerk der Timbres und Nuancen. Was nicht bedeutet, dass Marianne Crebassa nichts mit Texten anzufangen verstünde. Ganz im Gegenteil: die preziösen Verse Paul Verlaines, Theophile Gautiers oder Tristan Klingsors erwachen durch ihre Interpretation zu einer sinnlich-geheimnisvollen Welt nächtlicher Gärten, duftender Rosen, persischer Prinzessinnen, tanzender Najaden und - verzauberter Flöten. "La Flute enchantée" - bei diesem Stück aus Ravels Liedzyklus "Shéherazade" ist die von Bernhard Krabatsch gespielte Soloflöte eine sinnige Bereicherung. Doch sonst lässt Klangzauberer Fazil Say in der reinen Klavierfassung keines der Instrumente aus der üppigen Orchesterversion vermissen und entpuppt sich als fesselnder Märchenerzähler auf gefühlt "1001 Taste".
Zwei Künstler haben sich da offenbar gefunden, denn wie Crebassa und Say in diesen französischen Liedern aus einem Atem, aus einem Impuls heraus agieren, ist faszinierend. Zum Beispiel wie sie aus Ravels zierlichen Chinoiserien und dunkel schillernden Orientbildern in der Friedhofsfantasie von Duparcs "Lamento" in denselben fahlen Winterton hinübergleiten und die musikalische Temperatur auf den Gefrierpunkt sinken lassen.
Die letzte Nummer der CD schlägt den Bogen aus der fernen Fantasiewelt ins wenig märchenhafte Heute: Fazil Say ist schließlich nicht nur Pianist und Komponist, sondern hat mit seiner Meinung zur politischen Entwicklung in seiner türkischen Heimat nie hinterm Berg gehalten - auch künstlerisch: "Gezi Park 3" ist der letzte Teil einer Trilogie, in der er auf die gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen im Istanbuler Gezi-Park 2013 Bezug nimmt. Eine Klage, die aus den Tiefen der orientalischen Tradition aufzusteigen scheint und wiederum ohne Worte auskommt.
Claude Debussy:
Trois Chansons de Bilitis; Trois Mélodies
Maurice Ravel:
"Shéhérazade"; Vocalise-étude en forme de habanera
Gabriel Fauré:
"Mirages", op. 113
Henri Duparc:
"Au pays ou se fait la guerre"; Lamento; Élégie; Chanson triste
Fazil Say:
"Gezi Park 3"
Marianne Crebassa (Mezzosopran)
Fazil Say (Klavier)
Label: Erato/Warner Classics
Sendung: "Leporello" am 14. Dezember 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK