Derzeit ist viel los beim Münchner Rundfunkorchester: Nach dem Ende der Ära Ulf Schirmer steht der Amtsantritt des Kroaten Ivan Repusic am Chefdirigentenpult im Blickpunkt. Aber es gibt auch erstmals in der Geschichte des Klangkörpers einen "Artist in Residence" - und das ist die Sopranistin Marina Rebeka. Bereits im vergangenen Winter hat die Lettin aus Riga mit dem Orchester unter der Leitung von Marco Armiliato eine CD aufgenommen: lauter Opernarien unter dem Motto "Amor fatale". Der Komponist, dem über siebzig Minuten gehuldigt wird, ist Gioachino Rossini.
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Der CD-Tipp zum Anhören
Trifft eine Opernsängerin die Entscheidung, ihre vokalen Qualitäten durch ein Arienalbum auf CD zu dokumentieren, muss sie vor allem eine wichtige Frage beantworten: Will ich mein Repertoire möglichst breit abbilden und daher verschiedene Komponisten interpretatorisch beleuchten? Oder konzentriere ich mich lieber auf einen einzigen Komponisten, der für meine Laufbahn besonders wegweisend war und ist? Marina Rebeka bevorzugt die zweite Variante: Rossini nonstop! Denn an diversen Punkten ihrer Karriere ging es immer wieder um Opern des "Schwans von Pesaro".
Die Hommage gilt nicht dem buffonesken Rossini, der komischen Opera buffa, sondern dem seriösen Rossini, der tragischen Opera seria! Damit porträtiert Marina Rebeka die deutlich weniger bekannte Seite ihres Favoriten. Schließlich identifizieren ihn viele mit dem "Barbiere di Siviglia" - und fertig! Hier hingegen begegnet uns ein gutes halbes Dutzend ernster Bühnenwerke wie die französischsprachigen "Guillaume Tell" und "Moise et Pharaon", die italienischen Vertonungen von Stoffen wie "Otello" und "Armida", "Semiramide", "La donna del lago" und "Maometto Secondo". Auch Operngänger, die sich eigentlich gut auskennen mit der Belcanto-Epoche im engeren Sinn, werden auf Titel stoßen, die sie zum ersten Mal hören. Zum Beispiel die wunderbare Preghiera der Anna aus "Maometto Secondo", die Antrittsrolle von Marina Rebeka 2008 beim berühmten Rossini-Festival in der Geburtsstadt des Komponisten.
Eine Sopranstimme, die beweglich ist und expressiv zugleich, sich bereitwillig in den Dienst an der Charakterisierung zumeist starker Frauen stellt. Sauber transportiert Marina Rebeka den Text mit seinen vielen Facetten. Hörbar weiß diese Interpretin jederzeit, was und wovon sie gerade singt. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein - ist es aber keineswegs! Sogar die handschriftlichen Originale, die Autographen Rossinis hat die Lettin durchgesehen und daraus ihre Schlüsse gezogen, was Koloraturen und Einzelheiten der Verzierung betrifft. Der Dirigent Marco Armiliato ist bei Rossini nicht so sehr in seinem Element wie bei Puccini - mit dem Münchner Rundfunkorchester hat er ja vorzüglich die komplette "Manon Lescaut" bei den Salzburger Festspielen einstudiert. Dezent hält er sich diesmal im Hintergrund: Da versteht sich jemand als stiller helfender Lotse in den unwegsamen Gefilden vernachlässigter Bühnenwerke, die einst Triumphe feierten.
Arien aus Opern von Gioachino Rossini ("Moise et Pharaon", "Otello", "Semiramide", "Maometto II", "Guillaume Tell", "Armida" und "La donna del lago")
Marina Rebeka (Sopran)
Julia Heiler (Mezzosopran)
Levy Sekgapane (Tenor)
Gianluca Margheri (Bariton)
Chor des Bayerischen Rundfunks
Münchner Rundfunkorchester
Leitung: Marco Armiliato
Label: BR-KLASSIK
Sendung: "Leporello" am 26. September 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK