BR-KLASSIK

Im 18. Jahrhundert war Neapel eine brodelnde Musikmetropole von europäischem Rang. In zahlreichen Salons und Adelsresidenzen, Kirchen und Akademien, ja selbst auf der Straße wurde musiziert und gesungen. Und das Dank mehrerer Konservatorien auf hohem internationalen Niveau.

Den Ton gab Neapel vor allem in der Oper an. Man spricht noch heute von der Neapolitanischen Schule. Ihr erster herausragender Vertreter war Alessandro Scarlatti, der in Neapel bald 30 Jahre als Hofkapellmeister wirkte. Doch wirklich Schule machend waren die Generationen nach ihm: Leonardo Leo und Giovanni Battista Pergolesi, Francesco Durante und Johann Adolf Hasse, Leonardo Vinci und Nicola Porpora.
Belcanto in Reinkultur, Koloraturen in höchster Vollendung, Arien voller Leidenschaft und Affekte. Die neapolitanische Schule machte den Sänger zum Star und degradierte das Ensemble zum Stichwortgeber. Im Zentrum stand anfangs die Da-capo-Arie, später wurden die Arien raffinierter. Der dramatische Zusammenhang war dagegen eher zweitrangig. Bei den Rezitativen unterhielt sich das Publikum ohnehin häufig, um erst wieder bei den virtuosen Arien zuzuhören. Insofern ist es nur folgerichtig, dass der Star-Countertenor Max Emanuel Cencic, einer der Erfolgreichsten seiner Generation, zusammen mit dem Originalklangensemble Il Pomo d’oro eine Recital-CD mit Neapolitanischen Barockarien vorgelegt hat. In den Archiven brachte er lauter ungehobene und Hunderte von Jahren nicht mehr gehörte Schätze ans Licht.

Formvollendet und voller Empathie

Elegische Anschmachtarien von Scarlatti, sturmumtoste Meeresarien von Leo, kämpferische Rachearien von Porpora, tränenrührende Mitleidsarien von Pergolesi. Formvollendet und voller Empathie, virtuos und stimmlich bravurös interpretiert vom Mezzosopranisten Cencic, der wieder einmal unter Beweis stellt, dass er weltweit zu den besten Sängern seines Fachs zählt. Mal packend, mal gefühlvoll begleitet von Il Pomo d’oro unter der Leitung des Cembalisten Maxim Emelyanychev. Arie Napoletane bietet ein wahres Feuerwerk der Affekte und Emotionen. Und man begreift beim Hören, warum Neapel im 18. Jahrhundert das Operneldorado Europas war.