Unter den sieben großen Mozart-Opern spielte "La Clemenza di Tito" lange Zeit eine Außenseiterrolle. Mittlerweile ist Mozarts letztes Bühnenwerk vielfach rehabilitiert worden: Zum Beispiel wurde in Baden-Baden eine konzertante Aufführung unter Yannick Nézet-Séguin bejubelt. Dieses Event war die Fortsetzung des Mozart-Zyklus, den die Deutsche Grammophon seit 2011 im Zusammenarbeit mit dem Festspielhaus Baden-Baden herausbringt. Von Anfang an mit dabei ist das Chamber Orchestra of Europe unter Nézet-Séguin und auch ein fester Stamm von Sängern hat sich mittlerweile herausgebildet.
Bildquelle: Deutsche Grammophon
Der CD Tipp zum Anhören
Eine absolutistische Huldigungsoper aus der Feder des längst verblichenen Hofdichters Metastasio? Mozart, der gerade an Schikaneders "Zauberflöte" arbeitete, hätte sicher einen großen Bogen um dieses unzeitgemäße Libretto gemacht – wenn nicht ein kaiserlicher Auftrag damit verbunden gewesen wäre. Aber Mozart war nicht der Mann, einen Text zu vertonen, den er nicht vertreten konnte. Er suchte sich in Caterino Mazzolà einen literarischen Mitarbeiter; der kürzte die stereotype Vorlage gehörig, krempelte sie um und schmiedete Ensembles und große Szenen aus der starren Folge von Rezitativ und Soloarie. "Ridotta a vera opera" schrieb Mozart auf die Titelseite, denn erst jetzt war für ihn "echte Oper" daraus geworden.
Das Liebespaar Servilia und Annio mit einem schlicht empfindsamen Ausdruck, der das pompöse Repräsentationsbedürfnis der "Opera seria" links liegen lässt. Innig verschmelzen hier die jugendlichen Stimmen von Regula Mühlemann und Tara Erraught. Die machthungrige und skrupellose Intrigantin Vitellia muss natürlich andere Töne anschlagen und über die verfügt die lettische Sopranistin Marina Rebeka: Eine echte "Drama Queen", die Titos brave Untertanen ordentlich aufmischt und mit geschliffenen Koloraturen attackiert.
Hoffnungslos verfallen ist dieser Lady der arme Sesto, Titos engster Vertrauter. Hin- und hergerissen zwischen Freundestreue und Leidenschaft, lässt er sich von Vitellia als gefährliche Waffe gegen den Kaiser instrumentalisieren. Der quälende Zwiespalt seiner Gefühle macht Sesto zur eigentlichen Hauptfigur der Oper. Jedenfalls wenn die einstige Kastratenrolle von einer fulminanten Sängerin wie Joyce DiDonato interpretiert wird. Der amerikanischen Mezzosopranistin gelingt ein packend vielschichtiges Seelenporträt zwischen Zärtlichkeit, Sehnsucht, Selbsthass und Verzweiflung.
Dass ausgerechnet der Impulsgeber des Baden-Badener Projekts – Rolando Villazón als alles verzeihender Kaiser Tito – bei dieser Aufnahme stimmlich nicht in Bestform war, ist der kleine Wermutstropfen der Produktion. Entschädigt wird man durch die präsente, differenzierte, hochdramatische, aber niemals überspannte Interpretation durch den RIAS Kammerchor und das Chamber Orchestra of Europe unter Yannick Nézet-Séguin.
"La Clemenza di Tito"
Opera seria in zwei Akten, KV 621
Rolando Villazón, Tenor – Tito
Joyce DiDonato, Sopran – Sesto
Marina Rebeka, Sopran – Vitellia
Regula Mühlemann, Sopran – Servilia
Tara Erraught, Mezzosopran – Annio
Adam Plachetka, Bassbariton – Publio
RIAS Kammerchor
Chamber Orchestra of Europe
Leitung: Yannick Nézet-Séguin
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Leporello" am 13. September 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK