Josef läuft vor Maria davon, der Esel trinkt Wein, und statt der drei Könige kommen Indianerhäuptlinge: François Lazarevitch hat französische Noëls aufgenommen. Und die sind etwas anders als deutsche Weihnachtslieder...
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Der CD-Tipp zum Nachhören
Sie sind ganz anders als die deutschen Weihnachtslieder: die barocken Weihnachtsgesänge aus Frankreich, die sogenannten "Noëls". Keine süßliche Behaglichkeit, keine romantische Verklärung. Sondern ein unbefangen naiver Blick auf die Krippe von Betlehem:
"Da nahmen die Hirten ihre Oboen und Dudelsäcke und zogen los, um das neugeborene Kind zu sehen. Und als sie dort ihre Becher geleert hatten, machte einer eine Suppe aus Rüben. Und Gillot brachte Josef und Maria Hasen und Rebhühner, gebratene Lärchen und Kormorane. Und Vikar Jean gab dem Esel Wein von zuhause, damit er lauter iahen konnte."
Lebensprall, humorvoll, manchmal auch staunend wie eine Kind - die Noëls erzählen zum Beispiel von Josef, der sich vom Acker machen will, als er von der Schwangerschaft erfährt. Vom Hirten, der sich vorstellt, wie er das Baby wickeln wird. Aber auch von einem stummen Mädchen, dem draußen auf dem Feld die Jungfrau Maria erscheint - und das zuhause zum Erstaunen seiner Eltern plötzlich wieder zu sprechen beginnt.
Stumme Zeugen zum Sprechen zu bringen - dieses kleine Wunder ist auch dem Flötisten François Lazarevitch gelungen. Denn zwar sind die Melodien der Noels vielen Organisten und Alte-Musik-Fans bestens bekannt, weil Charpentier und Corrette, Daquin und Dandrieu und viele andere Barockkomponisten darüber ihre beliebten Variationen geschrieben haben. Aber es sind eben ausnahmslos wortlose Variationen. Die Texte der alten Lieder waren dagegen bisher nur schwer zugänglich. François Lazarevitch hat nun alte Weihnachtsbibeln durchforstet und konnte so den Melodien ihre Texte zurückgeben. Auch Lieder in alten französischen Dialekten sind dabei - und eines in Indianersprache, gedichtet vom Jesuitenpater Jean de Brébeuf, der im 17. Jahrhundert in Kanada missionierte und aus den Heiligen Drei Königen kurzerhand drei große Häuptlinge machte.
Stimmungsvoll und charmant sind die Arrangements, die Francois Lazarevitch seinen Musiciens de Saint-Julien auf den Leib geschrieben hat. Musette und Hackbrett, Blockflöten und Oboe tauchen nicht nur die Lieder in pastorale Farben, sondern als kleine Zugabe sogar Corellis Weihnachts-Concerto grosso. Und der Kinderchor von Radio France unter der Leitung von Sofi Jeannin lässt Könige und Hirten, Soldaten und Engel mit einer solchen Freude, Klarheit und Leichtigkeit auftreten, dass einem einfach das Herz aufgehen muss. Eine solch inspirierte Noël-CD habe ich mir schon lange gewünscht. Und dass es sie nun tatsächlich gibt, ist wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.
Michel Corrette, André Raison, Louis-Claude Daquin, Arcangelo Corelli, Marc-Antoine Charpentier, Pierre Guedron, J.-F. Dandrieu, Michel Richard Delalande
Les Musiciens de Saint-Julien, Maitrise de Radio France, Sofi Jeannin
Francois Lazarevitch
Label: alpha