Bildquelle: Pan Classics
Die Kostprobe vom 15. März 2015
Orlando di Lasso
Schweigen wir von der Sache mit dem Konzertsaal. Aber das mit München, also dass es gelegentlich leuchtete, das kam schon vor. Immer wieder bemühten sich die Herrscher aus dem Hause Wittelsbach, dem bärbeißigen bajuwarischen Städtchen an der Isar die große Kultur beizubringen. So Herzog Albrecht V., der 1556 den berühmtesten Komponisten der Zeit an seinen Hof verpflichtete, den Flamen Orlande de Lassus alias Orlando di Lasso. Bald nach seiner Ankunft bekam Lasso einen Mammut-Auftrag: Er sollte die sieben Bußpsalmen aus dem Psalter des Alten Testaments komponieren, für ein herzogliches Renommierprojekt, das uns noch heute in Erstaunen versetzt.
An die zehn Jahre dauerte es, bis der Münchner Hofmaler Hans Mielich aus Lassos Kompositionen eine der großartigsten Musikhandschriften aller Zeiten gezaubert hatte, ein riesiges Chorbuch, über vierhundert Pergamentseiten stark, über und über verziert mit köstlichsten Miniaturen, ein Hauptwerk des deutschen Manierismus, heute eine der Präziosen der Bayerischen Staatsbibliothek. Darin: eine Abbildung, die in die Musikgeschichte einging: Die Münchner Hofkapelle, Sänger, Instrumentalisten mit verschiedensten Instrumenten, versammelt um einen rotgedeckten Tisch im Sankt-Georgs-Saal der Münchner Neuveste.
Was, dachten sich Florian Wiesinger und Bernhard Rainer vom Ensemble "dolce risonanza", wenn diese Miniatur genau das darstellte, also eben eine Aufführung von Lassos Bußpsalmen? Man vertiefte sich in die Sache, fand eine Menge Hinweise auf die Stichhaltigkeit der These, tüftelte an plausiblen "Instrumentierungen", dann schritt man zur Tat und spielte gemeinsam mit den Sängern von "Profeti della Quinta" drei der sieben Psalmen ein, mit Renaissance-Querflöte und Cornamusa unter anderem, mit dem bizarren Rakett und einer eigens für die Aufnahme rekonstruierten Tenor-Geige.
Wer wagt, gewinnt: Lassos weitausladende Kompositionen, die in "normalen" A-capella-Fassungen schon mal etwas länglich und einförmig daherkommen, geraten unter dem behutsam-kraftvollen Zugriff der Sänger und Instrumentalisten in immer neue Schwebezustände. Eine feine Dramaturgie der Besetzungen und der Dynamik lässt die hier versammelten Gefühlszustände zwischen Not, Zerknirschung und Heilsgewissheit in großen Steigerungswellen anfluten. Aha, das ist also der Lasso, der den Zeitgenossen als der genialste, emotionalste musikalischer Textausdeuter von allen galt. Seine Bußpsalmen offenbaren sich in dieser Interpretation als Mielichs wunderbaren Miniaturen absolut ebenbürtig an Farbe, Strahl- und Suggestionskraft. Meisterwerke aus Meditation und Ekstase.