Minimale Mittel, maximale Wirkung: Es sind immer dieselben Akkorde, die der Chor wiederholt - vier verschiedene Harmonien nur und immer wieder dieselben drei Worte: "Christ with me", "Christus sei mit mir". Dazwischen: Stille, Zeit zum Nachlauschen. Eine Beschwörungsformel, ein Mantra, aus dem dann eine schlichte Melodie der Soprane emporsteigt: "Christus sei vor mir, Christus sei hinter mir".
Bildquelle: ECM
CD Tipp 27.09.2016
Arvo Pärt: The Deer's Cry - Geistliche Chorwerke
Schmuckloser und zugleich eindringlicher kann man dieses Schutzgebet des heiligen Patrick kaum vertonen. Fast scheint es, als hätten die Verse aus dem 4. Jahrhundert diese Musik schon immer in sich getragen, als hätte Arvo Pärt die Klänge nur wieder wachgeküsst. Der estnische Erfolgskomponist ist ein Meister der Reduktion, seit er sich in den 70er Jahren vom Tongewusel des Serialismus abkehrte und seinen Stil radikal änderte. Seine Dreiklänge mögen simpel wirken, doch schnurrt im Hintergrund jeder Komposition ein Uhrwerk aus strengen Regeln ab, das Pärts Musik vor jeder Banalität bewahrt.
In letzter Zeit hat sich Arvo Pärt groß besetzten Formaten zugewandt, hat sich um eine Öffnung zum Dramatischen hin bemüht und mit neoromantischen Klängen geflirtet. Nicht immer ist das geglückt. Aber hier, in diesen kleinen Chorwerken, die meisten nur drei, vier Minuten lang - hier ist Arvo Pärt ganz bei sich.
13 Stücke versammelt das estnische Vokalensemble Vox Clamantis auf der CD - das älteste von 1977, das jüngste von 2014. Das "Da pacem Domine" ist darunter, das Pärt für die Opfer der Zuganschläge von Madrid komponiert hat. Aber auch ein Loblied auf einen Baum, das durch den Fund einer jahrtausendealten Weißtanne angeregt wurde. Andere Stücke entpuppen sich als Recycling älterer Instrumentalwerke. Von all dem erfährt man im Booklet des Labels ECM leider nichts. Das beschränkt sich wieder einmal auf Schnappschüsse von Pärt und auf die Liedtexte, die nicht einmal ins Englische übersetzt wurden. Also muss die Musik für sich sprechen. Und das tut sie.
Dirigent Jaan-Eik Tulve lässt den Miniaturen die Zeit, die sie zur Entfaltung brauchen, sein Ensemble Vox Clamantis verfügt über die intonatorische Reinheit, aus der die spirituelle Reinheit der Musik erst erwächst, und über die Präzision und Disziplin, die die Mutter der Kontemplation ist. Stück für Stück, Mosaikstein für Mosaikstein fügt sich so das stimmige Porträt eines Komponisten zusammen, bei dem die Kunst der Beschränkung der Schlüssel ist zur Unendlichkeit.
The Deer's Cry
Von Angesicht zu Angesicht
Alleluia-Tropus
Virgencita
Veni Creator
Drei Hirtenkinder aus Fatima
And one of the Pharisees
Da Pacem Domine
Most Holy Mother of God
Sei gelobt, du Baum
Habitare fratres in unum
Summa
Gebet nach dem Kanon
Vox Clamantis
Leitung: Jaan-Eik Tulve
Label: ECM