BR-KLASSIK

Männer in Leinenhosen, weißen Hemden und Hosenträgern schleichen wie Puppen über die Bühne. Frauen mit weiß geschminkten Gesichtern tippen auf imaginären Schreibmaschinen. Gläserne Aufzüge fahren vor blinkenden Alarmlichtern auf und ab. Zwei Richter mit langen Perücken halten Gericht zwischen Reagenzgläsern. Albert Einstein sitzt auf einem Stuhl und spielt Geige. In einem Nachtzug erschießt eine Frau den Mann, mit dem sie zuvor Händchen gehalten hat. Und hoch oben scheint der Mond am tiefblauen Himmel.

"Einstein on the Beach" ist wie ein langer geheimnisvoller Traum, bei dem man nicht weiß, was er bedeutet, und der einen doch nicht mehr loslässt. Eine Oper ohne Handlung, aber voller assoziativer Bilder und hypnotischer Musik, lose verknüpft mit dem Mythos Einstein. Viereinhalb Stunden, in denen man tief ins Unterbewusste taucht und die Zeit völlig vergisst. Mit "Einstein on the Beach" haben der Regisseur Robert Wilson, die Choreographin Lucinda Childs und der Komponist Philip Glass 1976 Theatergeschichte geschrieben. Ein Gipfel, der nie wieder erreicht wurde, von Wilson nicht und schon gar nicht von Glass.

Erstmals ungekürzt

"Einstein on the Beach" ist ein echtes Gesamtkunstwerk. Musik und Tanz, Texte und Bühnenbild, Gesang und Gesten sind gleichberechtigt, entstanden damals auch gleichzeitig und verschmelzen zu einer Einheit. Umso wichtiger, dass dieses Stück nun erstmals auf DVD zu erleben ist. Gefilmt wurde 2014 im Pariser Théâtre du Châtelet, als die legendäre Uraufführungs-Inszenierung zum wohl letzten Mal auf Tournee war. Auch wenn ein Video die überwältigende Intensität des Live-Erlebnisses nicht ersetzen kann, ist es doch ein Dokument von unschätzbarem Wert. Anders als im Theater kann man nun auch jedes Detail erkennen, bis hin zu den präzise choreographierten Augenbewegungen. Und: Die Doppel-DVD liefert endlich die ungekürzte "Einstein"-Musik - rund eine Stunde länger als die bisherige CD-Gesamtaufnahme.

Magie der Wiederholungen

Die Musik von Philip Glass lebt nicht nur von der Magie der Wiederholungen, vom Glitzern der Keyboards und vom Dröhnen der Saxophone, sondern auch von den rhythmischen Raffinessen. Und manchmal kann der ätherisch-reine Gesang sogar ganz schön unter die Haut gehen. Was wirkt wie Meditation, fordert allerdings allerhöchste Konzentration von den Sängern und Instrumentalisten des Philip Glass Ensembles. Michael Riesman, langjähriger Assistent von Glass, hält am Keyboard die Fäden zusammen. Und hat einen Tipp parat, wie man diese einzigartige Produktion auf sich wirken lassen sollte: